Das Bundesligaauftaktspiel war ganz so wie man es sich eigentlich vorstellt. Beide Mannschaften waren alles aber nicht eingespielt und verbrachten die meiste Zeit damit sich um defensive Stabilität zu bemühen. Letztlich gewann die Mannschaft, die das besser für sich nutzen konnte, auch wenn Nuancen entschieden.
Eigentlich war dies noch gar kein wirkliches Bundesligaspiel, sondern ein Testspiel in Bundesligakulisse. Sowohl Hannover als auch Schalke zeigten eindrucksvoll, dass sie noch nicht fertig mit ihrer Vorbereitung sind. Am besten lässt sich das an der Passerfolgsquote belegen: Hannover hatte lediglich 68% und Schalke immerhin 72%. Und diese Quoten beschreiben den Spielverlauf auch recht gut.
Hannovers Spiel
Die Niedersachsen bauten sich offensiv in einem 4-2-3-1 auf. Besonders auffällig war dabei der bewegliche 10er Edgar Prib, der als Aktivposten mit einem unglaublichen Aktionsradius das halbe Feld beackerte. Er ließ sich viel auf die linke Seite fallen, auf der Hannover dadurch am aktivsten war. 44% der Angriffe kamen über die Seite. Generell versuchte Hannover es eher selten und wenn dann kaum erfolgreich durchs Zentrum.
Defensiv pendelte die Formation zwischen einem 4-4-2 und dem 4-2-3-1. Hannover versuchte früh den Aufbau zu stören und zog sich dann auf ein tiefes Mittelfeldpressing zurück. Durch das frühe Anpressen konnte Schalke das Spiel meist nicht ruhig aufbauen und war zu langen Bällen gezwungen. Hannover versuchte dann auf den zweiten Ball zu gehen, was relativ gut funktionierte. Die Niedersachsen standen recht gut gestaffelt und konnten so immer wieder Bälle gewinnen.
Schalkes Spiel
Nach der Pokalpleite stellte Schalke etwas um. Nach den Glanzmomenten durfte Draxler als 10er auflaufen. Außerdem erwartete Keller wohl etwas mehr Druck vom Gegner und baute statt Höger auf den defensivstärkeren Ayhan. Ansonsten änderte sich nicht recht viel, Schalke formierte sich wie gewohnt offensiv im 4-2-3-1, wobei Sam bestätigte, dass er nicht gern breit steht und sich stark ins Zentrum orientierte. Das machte es schwierig für den Außenverteidiger dahinter, Ayhan, weil ihm eine Anspielgelegenheit fehlt. Das konnte dieser aber oft gut kompensieren.
Das auffälligste Merkmal der Ära Keller auf Schalke ist das Streben nach defensiver Grundordnung. Diese ist ein hohes Mittelfeld-Pressing im 4-4-2. Dabei war Schalke ungewohnt unkompakt. Besonders im Mittelfeld funktionierte die Staffelung nicht gut und immer wieder wurden lange Bälle nicht zurück erobert, die eigentlich kein Problem darstellen sollten. Die Endverteidigung funktionierte dagegen wie gewohnt relativ gut. Zumindest wenn man die Ordnung gefunden hat. Das dauerte allerdings.
Umschalten, bitte!
Das Problem ist diese Unordnung nach Ballverlust/-gewinn, die Phase die gemeinhin als Umschaltspiel bekannt ist. Das sind so etwa 6-10 Sekunden die ganze Meisterschaften entscheiden können (etwa die der Gelben vor 4 Jahren).
Schnell in die Offensive umzuschalten ist die Chance einen Konter zu fahren. Das will Schalke schon seit einiger Zeit eigentlich nicht mehr. Es wird Wert drauf gelegt sauber aufzubauen, das Spiel zu kontrollieren und den Ball nicht leichtsinnig wieder zu verlieren. Daher geht nach einem Ballgewinn auch oft zunächst nach hinten gespielt. Das erinnert ein bisschen an das alte Spanische System, Ballbesitz zum Selbstzweck, und ist eine Maßnahme die ebenfalls aus dem Streben nach defensiver Ordnung kommt.
Schnell in die Defensive umzuschalten ist die Chance den Ball direkt wieder zu erobern und im Zweifelsfall sogar den Gegner selbst mit einem Konter zu überrumpeln. Das funktionierte in der letzten Saison mal besser, mal schlechter. In diesem Spiel war davon nahezu überhaupt nichts zu sehen. Bei Ballverlust wurde der Ballführende fast nie direkt attackiert, sondern sich in die Defensive Grundordnung begeben. Und das meist nichtmal mit besonders viel Zeitdruck. Besonders beim 2:1 war zu sehen, dass der Ball verloren wurde und die Hannoveraner dann nach hinten begleitet (bzw. ihnen nachgejoggt) wurde, um sich dort neu zu positionieren. Da ist dann das Tor allerdings schon gefallen.
Geschwindigkeit war ein großes Problem bei Königsblau. Es schien teilweise so, als würden die Spieler nur 80% bringen können. Den Geschwindigkeitsvorteil und das Engagement lag deutlich bei den Roten.
Fehlende Eingespieltheit
All das ließe sich in dieser Partie aber sicher kompensieren. Denn letztlich hatten beide Mannschaften genug mit sich selbst zu tun. Der Hunter drückte sich so aus:
„Letztes Spiel war nicht gut, da konnten wir gar nicht gewinnen, so wie wir gespielt haben. Dieses Spiel hätten wir eigentlich gewinnen müssen.“
Klaas-Jan Huntelaar nach dem Spiel
Huntelaar war der Schalker mit der höchsten Passerfolgsquote: 86%. Gemeinsam mit Matip (81%) die einzigen beiden mit über 80%. In der letzten Saison gehörte Schalke zu den Ballsichersten Mannschaften der Bundesliga. Davon war hier nichts zu sehen. Der Ball wurde leichtfertig ständig verschenkt. Und das war bei Hannover ganz genauso. Im Spiel ging es dadurch ständig hin und her im Mittelfeld, Ballverlust folgte Ballverlust. Viele hohe Bälle, die nicht kontrolliert werden konnten und Durchsteckversuche, die ihre Lücke nicht fanden. Das aller größte Übel waren aber generell die hohe Anzahl an weiten Bällen, die beide Mannschaften ständig und erfolglos versuchten.
All das hat nicht funktioniert, weil die Staffelung Schalkes einfach nicht gut war. Es fehlte die Kompaktheit und die Aufteilung war miserabel. Häufig war ein Spieler mit dem Ball am Flügel in bedrängnis und hatte keine Abspielmöglichkeit. Die Abstände waren zu groß, so groß, dass sich da gemütlich Hannoveraner tummeln konnten. So kann sich keine Ballsicherheit entwickeln.
Auf Schalke zeigt sich die Uneingespieltheit vor allem an der vielbeachteten neuen Flügelzange. Ein Drittel aller Passversuche von Coupo-Moting ging zum Gegner. Unwesentlich besser sah es bei Sam aus. Beide waren kaum ins Spiel eingebunden. Sam stand im Defensivverbund meist zu hoch, so dass Ayhan ein ums andere Mal in letzter Not aushelfen musste. Ansonsten ist das Zusammenspiel der beiden mit ihrem jeweiligen Außenverteidiger eher Mangelhaft, Gruppentakt Fehlanzeige.
Alles auf Anfang
Nach dem ersten Spiel und dem ersten Bundesligaspiel hat Schalke ja noch einen Versuch in die neue Saison zu starten: Das erste Bundesligaheimspiel. Betrachten wir die vergangen beiden Spiele in Dresden und in Hannover also als Testspiele (sehr, sehr schmerzliche Testspiele) und gucken in die Zukunft: Was muss passieren, damit Schalke doch noch einen guten Start hinlegen kann?
Schalke fehlt Geschwindigkeit und Ruhe gleichzeitig.
Es fehlt die nötige Ruhe um abgeklärt den Ball in den eigenen Reihen zu halten, ungeachtet des Drucks der vom Gegner entgegenschlägt. Die technischen Fähigkeiten sind in den Reihen der Schalker deutlich vorhanden. Sie bringen es nur gerade noch nicht auf die Straße.
Es fehlt die nötige Geschwindigkeit um in Offensive und Defensive besser zu werden. Bei den wenigen Angriffen hakte es häufig daran, dass sie nicht schnell genug zu Ende gespielt wurden. Bei der Verteidigung brauchte Schalke zu lange um in die Grundordnung zu finden. Und auf dem Weg dahin muss der Gegner bereits attackiert werden.
Das sind nur ein paar wenige Sätze, würden das Schalker Spiel aber komplett umkrempeln. Dementsprechend schwierig ist es, sowas mal eben zu implementieren.
Auch wenn ich das Spiel (zum Glück?!) nur zum Teil und dann auch noch in der Konferenz gesehen habe (also eigentlich gar nicht bis auf die Tore), klingt Deine Analyse nach allem, was ich gesehen und vor allem danach dazu gehört habe, sehr gut.
Mir fehlt allerdings mittlerweile, und das nach sagenhaften 2 Pflichtspielen (sic!), der Glaube daran, dass das noch was wird unter Keller. Und ich bin mittlerweile echt so weit, dass ich mir den „Messias“ Tuchel wünsche, nur um mal zu sehen, ob es dann unter dem tatsächlich endlich besser klappt.
Was ich bezweifle. Denn das Problem sitzt bei uns nicht auf der Bank. Es steht auf dem Platz. Leider müsste man beinahe sagen. Denn den Trainer auszutauschen ist nun mal wesentlich einfacher, als die nahezu komplette Mannschaft.
Geil. die Saison is gerade mal einen Spieltag alt und ich verzweifle schon wieder an dieser Trümmertruppe. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man herzhaft drüber lachen.
Habe auch nur die Zusammenfassung gesehen. Bei beiden Gegentoren steht Schalke ja so was von unkompakt bei der gegnerischen Ballerorberung. Wenn das nur ansatzweise im ganzen Spiel so war, und das fürchte ich nach der Analyse hier, dann gute Nacht! Schalke hat doch in der letzten Saison mal relativ ordentliches Gegenpressing gezeigt. Wo ist das denn geblieben?
Beim ersten Tor stehen nach Huntelaars Ballverlust drei Hannoveraner alleine mit Draxler und einem riesigen Raum vor sich. Die können nach Belieben im Vollsprint auf Boateng und die Abwehr zulaufen.
Beim zweiten Tor finde ich es noch schlimmer. Ayan spielt Neustädter an, der von drei Spielern umringt ist. Sonst ist niemand in der Nähe, der sich für irgendwas anbieten könnte. Sam steht ungeschickt, nicht Fisch, nicht Fleisch in Neustädters Rücken in der Halbnähe herum, unanspielbar. Draxler und Boateng decken sich fernab gegenseitig im Zehnerraum. So kann das nicht aussehen! Und An Carlito: Ja, auf dem Platz sind es die Spieler. Aber der Trainer sagt ihnen, wie sie sich in solchen Situationen zu verhalten haben (und ich bin mir nicht sicher, ob sowas bei Freiburg oder Mainz ernsthaft möglich ist). Und er stellt gerade zu viele Spieler auf einmal auf, die im kompakten gruppentaktischen Zusammenspiel anscheinend nicht die Idealbesetzungen sind, d.h. Sam, Boateng, Draxler. Wer dagegen fehlt, sind Spiele wie Aogo, Meyer und Höger.
Ich habe beschlossen mich nicht mehr an Trainerdiskussionen zu beteidigen. Stattdessen versuche ich lediglich aufzuzeigen wie Schalke gerade spielt und wo der Hund im Pfeffer liegt. Da kann dann jeder seine eigenen Rückschlüsse draus ziehen.
Zum Spiel: Das war schon bitter, wie ungeschickt sich die Spieler zum Teil zueinander positioniert haben. Ich glaube das war ein Cocktail an allem, fehlender Motivation, fehlender Anweisung, fehlender Spritzigkeit und woran es sonst noch so fehlen kann. Bei mehr als 80% ist die Mannschaft noch nicht. Und da das Schalker Spiel von der Staffelung und von individuellen Geistesblitzen lebt sind 80% ungefähr 30% zu wenig…
Das klingt sehr weise, sich aus der Trainer- Manager- und Spielerdiskussion rauszuhalten. Werd mal versuchen, mir ein Beispiel zu nehmen. Eine Frage: Du hast beim Dresden-Spiel gesagt, dass es positive Ansätze beim gruppentaktischen Verhalten im Spielaufbau, zumindest in den ersten beiden Spielfelddritteln gegeben hat. Hat es da in Ansätzen irgendeine Fortsetzung gegeben, oder ist das im doch recht einfachen Hannoveraner Pressing untergegangen?
Treffende Analyse mit nachvollziehbaren Schlussfolgerungen und Vorschlägen fürs nächste Spiel, danke 😉 Das mit der „Fehlende Eingespieltheit“ ist ja hoffentlich nur eine Frage der Zeit… Und, als ehrliche Frage gemeint: Denkt Ihr, die Trainer wissen ebenso um die Defizite beim Umschaltverhalten? Gibt es z.B. Hinweise (Trainingsmethoden, Anweisungen während des Spiels), dass dies verbessert werden soll?
@ ES: ich glaube ja aber wohl kaum, dass Keller denen sagt, dass sie sich so dämlich anstellen sollen. Ansonsten gebe ich Dir Recht, dass ggf. die zum Teil falschen Spieler gespielt haben. Aber die anderen waren zum Teil ja auch noch nicht wieder richtig fit, wie z.B. Aogo.
Wenn es so weiter läuft, wie es mit Kolasinac jetzt schon wieder los geht, dann stellt sich die Mannschaft bald eh wieder von alleine auf.
Bin echt mal gespannt auf Samstag. Rechne mit dem Schlimmsten, obwohl auch die Bayern keine gute Frühform haben.
Nein, Keller wird denen sicher nicht sagen, dass sie sich dämlich anstellen sollen. Der Weg ist zweierlei (mit meinem Halb- und Laienwissen über Trainingsmethoden bei Profivereinen): 1) Ihnen den Rahmen vorgeben mit ein paar einfachen Grundprinzipien (und Formationen, z.B. 4-2-3-1), und dann die Rollen in jedem Spiel so verteilen, dass die Spieler ihre Rollen verstehen und wissen, wie sie sich zu verhalten haben (und dafür die richtigen Spieler aussuchen) – nicht umsonst hat Tuchel in Mainz die Mannschaft andauernd umgestellt, nicht wegen der Rotation an sich, sondern um für die anstehende Aufgabe (seinen Matchplan) die optimalen Spieler für die benötigten Rollen zu haben (und das wechselt u.U. von Aufgabe zu Aufgabe) 2) solche Situationen bewusst trainieren, d.h. im Training spielnahe Situation kreieren, bei denen die Spieler selbst sich erstens korrekt zueinander binden und zweitens dann gruppentaktisch sinnvolle Lösungen finden müssen. Also irgendetwas scheint bei 1) und/oder 2) nicht richtig zu laufen (oder es gibt Teile 3) und 4), die ich nicht kenne). Für Teil 2) ist m.A. nach Peter Herrmann zuständig. Und er gilt als ausgewiesener Fachmann.
Komisch ist ja nur, dass es ja sehr wohl auch schon Spiele unter Keller gab, wo das hat nicht so schlecht geklappt hat mit taktischen Vorgaben und deren Umsetzung…
Aber ehrlich gesagt fehlt mir mittlerweile auch jegliche Phantasie, mir vorzustellen, woran es tatsächlich liegt.