Kuzorra und Szepan spielten jeden Gegner schwindelig, die Knappen sammelten Titel und ganz Fußballdeutschland war begeistert von den Königsblauen. Die Gebrüder Ballmann etablierten das schottische Kurzpassspiel im Kohlenpott und Schalke wuchs vom Verein einiger Arbeiterkinder zum Abonnementmeister. Das war der Schalker Kreisel.
Dies ist eine Chronik der Geschehnisse mit Blick auf die Taktik. Es wird betrachtet wie Schalke das Kreiseln lernte und wie der Kreisel funktionierte, wie der Kreisel ganz Fußballdeutschland schwindelig machte, aber auch wie der Kreisel zum Stillstand kam.
Von Schotten und dem großen Krieg
Der Legende vom Schalker Kreisel hat seinen Ursprung irgendwie in Dortmund. Von dort zog Familie Ballmann nämlich kurz nach der Jahrhundertwende nach England. Selbstredend mitsamt der beiden Söhne Friedrich (genannt Fred) und Hans. Die beiden wuchsen in Großbritannien auf, hier wo der Fußball geboren wurde, wo er schon damals zur Hochkultur gehörte. Allerdings nicht da, wo sich Fußball durch Athletik definiert, wo der Spielstil „Kick & Rush“ heißt. Sondern in einem Teil Englands, der sich stark am schottischen Fußball orientierte.
Die ewige Rivalität zwischen Schotten und Engländern zeigte sich im Fußball durch einen komplett anderen, nahezu gegensätzlichen Spielstil. Dem brachialen wurde das filigrane gegenübergestellt. In England gehörte es (und gehört zum Teil immer noch) zum guten Ton zu versuchen den Ball möglichst weit weg zu dreschen und dann möglichst schnell und möglichst kraftvoll auf’s Tor zu zimmern. Alles andere war schlicht weg verpönt. Und weil sich zumindest in Europa damals alle an England orientierten, war das so ziemlich überall so. Außer in Schottland. Hier wurde Wert auf Technik gelegt. Kurze und präzise Pässe bestimmten das Spielgeschehen. Die Gebrüder Ballmann (welch Name für Fußballlegenden!) lernten und verinnerlichten dieses Kurzpasspiel, auch wenn sie in England statt in Schottland waren.
Der erste Weltkrieg kam und markierte einen wichtigen Wendepunkt für den deutschen Fußball. Vor dem Krieg noch ein Spiel für die gebildete Oberschicht, nutzten die Soldaten Fußball zur Ablenkung, Sozialisierung und schlicht zum Training. Die Soldaten kamen also als Fußballer zurück. Von da ab zog sich der Fußball durch alle Schichten und kleine Vereine hatten großen Zulauf.
Nach dem Krieg kamen auch Fred und Hans Ballmann zurück nach Deutschland und schlossen sich 1919 den Fußballern vom Schalker Markt an. Sie gaben ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter und lehrten die Mannschaft und den ganzen Verein den Spielstil der Schotten. Mit kurzen flachen Pässen, Dribblings und Finten den Gegner schwindelig zu spielen. Der Schalker Kreisel ward geboren.
Schalke kreiselt, aber darf noch nicht mitspielen
Als von Arbeiterkindern gegründet war der Verein dem Verband und den sogenannten Lackschuh-Vereinen ein Dorn im Auge. Man wollte die Schalker Jungs schlichtweg nicht am Spielbetrieb teilnehmen lassen und erteilte einem Antrag nach dem anderen eine Abfuhr. So schlossen sich die Fußballer schließlich einem Turnverein an, der bereits im Verband war. Westfalia Schalke wurde 1919 zum Teil des Turn- und Sportverein Schalke 1877. So durften die Schalker am Ligabetrieb teilnehmen und kreiselten sich langsam hoch, damals noch in rot-gelb, Aufstieg um Aufstieg. Der Zutritt nach ganz oben, in die Westfalenliga, wurde ihnen aber dennoch versperrt. Noch.
Schlüsselfiguren der Zeit vor der Freigabe für die Westfalenliga waren die Gebrüder Ballmann. Ein junger Spieler aus der Nachwuchsabteilung wusste später zu berichten, dass Fred Ballman, der ältere der beiden, Linksaußen war und dadurch weniger Einfluss auf das aktive Spiel hatte. Hans Ballmann als Mittelläufer dagegen deutlich mehr. Er habe seine Mitspieler dirigiert, ihnen zugerufen was sie zu tun haben. Dieser, der jüngere der beiden Brüder, war ein ausgezeichneter Kombinationsspieler. Der berichtende Jungendspieler Schalkes habe viel von Hans Ballmann gelernt, wollte später einmal spielen und denken wie er. Der junge Mann hieß Fritz Szepan.
Ende der 20er Jahre war für die Gebrüder Ballmann als aktive Spieler dann Schicht am Schacht. An ihre Stelle sollten schon bald zwei andere schillernde Persönlichkeiten treten. Das Vermächtnis von Fred & Hans Ballmann blieb aber allgegenwärtig und sollte noch lange für Erfolge verantwortlich zeichnen. Die Einleitung dessen gelang sogar noch unter deren Regie.
Eine Gesetzesänderung machte dann die „Reinliche Scheidung“ notwendig: Ein Verein durfte nicht mehr gleichzeitig im Fußball- und im Turnverband sein. Also trennten sich die Fußballer wieder vom Turnverein. Unter Betreuung von Papa Unkel formierte sich am 5. Januar 1924 der „Fußballklub Schalke 04 e. V.“, jetzt in den Farben Blau und Weiß. Mit der Abspaltung einhergehend gab es auch endlich die Spielerlaubnis am Ligabetrieb teilzunehmen. Natürlich in der untersten Klasse. Und so kreiselte Schalke unaufhörlich nach oben, bis im Frühjahr 1926 dann endlich der Aufstieg in die Ruhrliga gelang. Auf Anhieb kam Schalke ins Finale und gewann dort sogar gegen Schwarz-Weiß Essen, den großen Rivalen zu der Zeit. Schalke war Ruhrmeister und zum ersten Mal für den Kampf um das grün-weiße Band der Westfalenmeisterschaft qualifiziert. Der Kreisel war also schon mächtig in Schwung.
Der Kreisel wirbelt und wirbelt und wirbelt
Schalke spielte zu der Zeit, wie so ziemlich die ganze Fußballwelt mit einer Formation, die als Schottische Furche bekannt ist, einem 2-3-5 (im englischen nur „the pyramid“), bestehend aus zwei Verteidigern, einem dreier Mittelfeld und fünf Stürmern. Die Spieler im Mittelfeld wurden Läufer genannt, so gab es also den linken und rechten Läufer, sowie den Mittelläufer. Gerne nahm der Mittelläufer dabei eine dirigierende Rolle ein, wie heute ein 6er oder ein 10er. Die Positionen davor nannten sich Außenstürmer, Halbstürmer und Mittelstürmer.
Die Angriffsreihe war ursprünglich relativ flach, man versuchte einfach nur so viele Leute wie möglich nach vorne zu bringen und für Torgefahr zu sorgen. Der Schalker Kreisel zog allerdings die Halbstürmer leicht zurück um das Kombinationsspiel zu erleichtern (andere Kombinationsteams machten das natürlich auch). So ergab sich ein doppeltes W. Die Flügelstürmer rückten recht hoch und flankten viel. Der Mittelstürmer war damals bereits so, wie Klaas-Jan Huntelaar die Rolle heute noch interpretiert. Ein bisschen Wandspieler und ein bisschen Ablagengeber, aber in erster Linie den gegnerischen Strafraum zum Brennen bringen. Tibulski etwa war im Schalker Kreisel lange der Zentrumsspieler. Die Halbstürmer ließen sich etwas fallen und stellten so eine Staffelung her. Das machte sie schwerer zu verteidigen. Verteidiger mussten sich überlegen ob sie nun den Passweg von einem Halbstürmer zum anderen zustellen oder den zum Mittelstürmer.
Die Läufer hatten all die Rollen, die ein Modernes Mittelfeld auch hat. Verteidigung und Angriff unterstützen. Der Mittelläufer hatte da als zentralster Spieler eine besondere Rolle, er steuerte das Spiel. Er stand knapp hinter den beiden Halbstürmern, knapp vor den beiden Verteidigern und zwischen den beiden Läufern. So hatte er also 6 direkte Nebenleute.
Teil der Philosophie hinter dem Schalker Kreisel war das Gebot des aktiven Freilaufens. Zu der Zeit war das neu. Stark vereinfacht ausgedrückt standen die Spieler verteilt auf dem Feld rum und warteten auf ein Zuspiel um dann auf Biegen und Brechen ein Tor zu schießen. Oder eben darauf, dass deren Gegenspieler den Ball bekam und ihm wieder abgenommen werden musste. Auf Schalke war es eines jeden Spielers Pflicht sich Anspielbar zu machen und es war verpönt den Ball nicht abzugeben. Nicht selten gab es Situationen wie im Pokalviertelfinale der Saison 1940/41 gegen Austria Wien in denen die Zeitungen beschreiben wie Eppenhoff den Ball im Strafraum zum freistehenden Kuzorra bringt, doch der sieht Kallwitzki noch günstiger stehen. Wenn sowas geklappt hat (wie in diesem Beispiel), dann wurde es frenetisch bejubelt. Wenn aber nicht, wurde Spott und Häme ausgeschüttet. Immer wieder musste sich Schalke dann gefallen lassen, dass es zu verspielt sei.
Typisches Kreiseln war etwa so: Vom linken Verteidiger zum Mittelläufer, von da über den rechten Verteidiger rüber zum rechten Läufer. Der dann den Ball zum rechten Halbstürmer weiterleitet, bevor dieser zurück zum Mittelläufer spielt. Schon damals wurde das Spiel mit einer gut geölten Maschine verglichen, oder einem Uhrwerk. Jeder Spieler wusste was zu tun war und bewegte sich viel. Dabei wurde nicht selten in Treppen gespielt, also abwechselnd Querpass auf Steilpass. Gegner aussteigen lassen und Raumgewinnen. Wenn der Angriff nicht erfolgreich enden kann, nochmal zurück raus und neu anfangen. Ballkontrolle war das oberste Gut. Lange bevor Johan Cruyff beim FC Barcelona zum Motto ausrufen konnte: Solange wir den Ball haben, kann der Gegner kein Tor schießen.
Der Kreisel bestand aber nicht nur aus flachen Pässen und aktivem Freilaufen. Auch Dribbeln wurde zur höheren Kunst ausgerufen. Besonders in Verbindung mit Täuschungen. Immer wieder gab es Finten und Tricks die ins Spiel eingebaut wurden um freie Bahn zu haben. Hinzu kam, dass die Spieler damals insgesamt deutlich mehr Zeit und Platz hatten als heute. Fehlendes Pressing des Gegners erleichtert das Kombinationsspiel ungemein.
Allerdings hatte der Schalker Kreisel speziell zu Beginn immer noch mit einem Problem zu kämpfen, dass im Kombinationsspiel auch bei modernen Teams immer wieder gefährlich wird. Gegner die diesen Kreisel halbwegs bespielen konnten, machten auch meist viele Tore. Die Anfälligkeit für Gegentore machte Schalke besonders in der Anfangszeit zu schaffen. Ab den frühen 30ern bekamen sie das aber meist recht gut in den Griff.
Das Herzstück des Schalker Kreisels bestand schon früh aus Fritz Szepan und Ernst Kuzorra. Noch mit über 40 Jahren würden sie hier gemeinsam wirbeln. Um sie herum mit wechselnder Besetzung, die Liste der Schlüsselspieler ist lang, darum blicken wir hier mal nur auf die beiden. Zwei der besten deutschen Fußballer ihrer Zeit. Der blonde Fritz war dabei immer der Kopf der Mannschaft. Ein feiner Techniker, der mit seinem überragenden Kombinationsspiel den Kreisel in Bewegung hielt. Bis Mitte der 30er Jahre spielte er für Schalke (wie auch in der Nationalmannschaft) den Mittelläufer, später dann den rechten Halbstürmer. Auf halblinker Position in Sturm dann sein Schwager Kuzorra, den alle nur Clemens nannten. Er war dribbelstark und hatte einen starken Drang zum Tor. Persönlich unterschieden sich die beiden sehr. Der eine, Kuzorra, war immer für einen derben Spruch gut. Der andere, Szepan, war der immer gepflegte und stille Vertreter. Nicht nur für die beiden galt, dass man Starallüren von Schalker Spielern damals nicht kannte, auch bei allem späteren Erfolg. Die ewige Torschützenliste der Deutschen Meisterschaften bis zur Einführung der Bundesliga ist fest in Schalker Hand: Szepan (57 Tore), Kalwitzki (56) und Kuzorra (48) vor Uwe Seeler (40, HSV).
Der steinige Weg zum ersten Finale
Zur Saison 1963/64 wurde die Bundesliga, und damit professioneller Fußball, eingeführt. Bis dahin (seit 1903) war die Deutsche Meisterschaft ein Turnier, für dass sich Amateurvereine über die regionalen Verbände qualifizieren mussten, ähnlich wie heute mit der Champions League. Ab 1926 qualifizierte sich Schalke ständig für die Teilnahme an der Westdeutschen Meisterschaft, kam immer unter die letzten 3 und wurde 1929, 1930, 1932 und 1933 sogar Westdeutscher Meister. Damals hießen die großen Rivalen Gelsenkirchener Union (von da kam schließlich Ernst Kalwitzki) und Schwarz-Weiß Essen.
Während dieser Zeit gab es zwei Ereignisse, die besonders herauszuheben sind. Zum einen wurde am 2. September 1928 das erste eigene Stadion eingeweiht: Die Kampfbahn Glückauf. Als Dank für die finanzielle Unterstützung der Stadt beim Stadionbau benannte sich der Verein in „Fußballclub Gelsenkirchen-Schalke 04 e. V.“ um. Zur damaligen Zeit eines der schönsten und größten Stadien Deutschlands und ganzer Stolz des Vereins.
Zwei Jahre später gab es den ersten Skandal, den Schalker Spruch. Zur Saison 1930/31 wurden Großteile der Mannschaft und Verantwortlichen vom Spielbetrieb suspendiert. Aufgrund zu hoher Spesenzahlung und sonstiger Zusatzleistungen wurde ihnen zur Last gelegt gegen die Amateur-Statuten verstoßen zu haben. Die Beschuldigungen waren nicht von der Hand zu weisen, jedoch weitestgehend nationaler Standard. Viele andere Vereine und Spieler haben ähnliche Bezüge erhalten. Bestraft wurde jedoch fast ausschließlich Schalke, es schien als sollte ein Exempel statuiert werden.
Bis der Schalker Spruch zurück genommen wurde verging ein Jahr. Ein Jahr in dem Schalke auf Ersatzleute, Jugendspieler und Teile der „Alt Herren Mannschaft“ zurückgreifen musste. Nur mit Mühe gelang der Klassenerhalt.
Von dieser einen Saison abgesehen qualifizierte sich Schalke jedes Jahr zur Teilnahme beim Kampf um die Deutsche Meisterschaft. Und die Knappen robbten sich langsam an. Erst Achtelfinals, dann Viertelfinals, dann ein Halbfinale, und schließlich 1933 zum ersten Mal im Finale um „die Deutsche“ gegen Fortuna Düsseldorf. Seit 30 Jahren wurden jetzt schon Deutsche Meisterschaften ausgespielt, nur einmal schaffte es eine Mannschaft aus Westdeutschland ins Finale (1913, Duisburger Spielverein verlor gegen VfB Leipzig). Und jetzt gleich ein ganzes Westdeutsches Finale.
Doch Schalke verlor gegen die reifere Mannschaft, allerdings versprach man sich nicht das letzte Mal im Finale gestanden zu sein. Tatsächlich sollte sich bald der Satz prägen: „Kein Finale ohne Schalke 04“, denn die Knappen wurden Dauergast.
Die goldenen Jahre in der dunklen Zeit
Die Erfolge bis hier hin lassen vermuten, dass Schalke durch Exzellenz im Spiel nach Titeln während der Herrschaft der Nazis greifen sollte. Und nicht durch Unterstützung der Nazis. Der Verein selbst ließ dies in einer Studie untersuchen: Zwischen Blau und Weiß liegt Grau. Im groben kommt diese Studie zu dem gleichen Ergebnis, Schalke gewann Titel durch sportliche Überlegenheit. Nichtsdestotrotz gab es Instrumentalisierungen der Nazis, sich durch Nazis instrumentalisieren lassen von Schalkern. Im Verein gab es Menschen die durch die Nazis profitierten, dagegen protestierten oder sie ignorierten. Im groben allerdings nicht mehr oder weniger als beim Rest der Bevölkerung auch. Wen Details dazu interessieren, dem sei das Buch zur Studie ans Herz gelegt.
Nach der „Machtübernahme“ strukturierten die Nationalsozialisten (Nazis haben kleine Pimmel!) das Land neu und teilten es in Gaue auf. Gleichzeitig drängten sie die regionalen Verbände zur Auflösung und gründeten Gau-Ligen. Die Deutsche Meisterschaft wurde von nun an unter den Gauliga Meistern ausgespielt. In den 11 Jahren deren bestehen gab es nur einen Meister in der Gauliga West, den FC Schalke 04. Mit den Erfolgen im Westdeutschen Verband wurde Schalke also 13 Mal in Folge Westdeutscher Meister. Und das weitestgehend sehr souverän. In der Saison 1936/37 etwa holte Schalke sich den Titel mit 103:14 Toren, stolze 14 Punkte vor Westfalia Herne. Und damals galt die 3-Punkte-Regel ja noch nicht.
1934 stand Schalke also bereits wieder im Finale um die deutsche Meisterschaft, gegen den Rekordsieger aus Nürnberg. Bereits 5 Mal konnte sich das übermächtige Team aus Bayern die Meisterschaft sichern. Und dann folgte ein Endspiel, das aufgebaut war, wie so viele Spiele gegen Schalke in der Zeit. Der Kreisel tat seine Magie…
Der Club war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine der stärksten Mannschaften Deutschlands, starke Gegner kann man nicht einfach durch kurze Pässe dominieren. Kombinationsspiel ist kein Allheilmittel. Das war es nie und das wird es auch nie werden. Aber der Kreisel hatte noch eine andere Wirkung: Er machte die Gegner mürbe und müde. Kuzorra wusste später zu berichten, dass sie sich oft anhören durften, die Schalker bewegen sich kaum. Das liegt allerdings an der Wahrnehmung. Die Schalker waren ständig in Bewegung, allerdings ohne viel Kraft zu investieren. Damit brachten sie sich in Position für gute Anspiele. Die Gegner mussten sich dann beeilen hinterher zu kommen und ließen viel Kraft. Schalke ließ den Ball laufen und die Anderen versuchten hinterher zu kommen. Immer wieder wurde geduldig von Hinten aufgebaut, der Ball zirkulierte und der Gegner lief heiß. Nicht selten schoss Schalke entscheidende Tore dann gegen Spielende, wenn die andere Mannschaft die Kräfte verließen.
So lief auch dieses Finale. Lange 1:0 zurückliegend brachten Szepan (88. Spielminute) und Kuzorra (90.) erst spät den Sieg. Schalke war zum ersten Mal deutscher Meister! Gelsenkirchen stand Kopf und das ganze Ruhrgebiet gleich mit.
„Ich wusste nicht wohin mit dem Ball… da hab ich ihn einfach reingewichst!“
Ernst Kuzorra, über den Siegtreffer im Finale gegen den 1. FC Nürnberg um die Deutsche Meisterschaft am 24. Juni 1934, den er trotz eines Leistenbruchs in der letzten Minute erzielte.
In den nächsten Jahren schwang sich Schalke zu einer der besten Mannschaften auf, die Deutschland je gesehen hatte, und brillierte dabei immer wieder mit „technischen Filigran-Kunststückchen“. Keine Mannschaft lockte mehr Zuschauer in die Stadien. Bei Mutter Thiemeyer im Vereinslokal wurden die Trophäen ausgestellt, besonders die Victoria (die der Deutsche Meister bekam) war Dauergast. So geriet Gaststätte Thiemeyer, auch „Kaiserhalle“ genannt, zum Epizentrum der Schalke-Welt. Es war Wallfahrtsort und Ticketcenter für Anhänger und an Spieltagen hielt das Telefon nicht still von Anrufern, die wissen wollten, wie Schalke gespielt hat.
Bei nationalen Verbands-Auswahlturnieren, in denen die besten Spieler der einzelnen Regionen gegeneinander spielten, wurde als Westfalenauswahl einfach direkt der komplette Schalke 04 ins Rennen. In den 13 Jahren, die Schalke am Stück Westdeutscher Meister war, standen die Knappen insgesamt 9 Mal im Finale um die deutsche Meisterschaft. Ähnliches galt für den neugegründeten deutschen Pokal, den Tschammerpokal. Von Gründung bis Kriegsunterbrechung wurde er 9 Mal ausgespielt. Schalke stand dabei 5 Mal im Finale, die ersten 4 Male am Stück. Gewonnen werden konnte er im Jahre 1937, kurz zuvor war man bereits deutscher Meister geworden. Schalke holte das Double. Das erste (und für lange Zeit einzige) Double der Geschichte des deutschen Fußballs.
Der Spielbetrieb wurde zu Kriegsbeginn nur kurz unterbrochen, lief dann aber normal weiter. Doch die Lage verschlimmerte sich zusehends. Spieler fielen verwundet aus oder wurden eingezogen. Sie mussten ersetzt werden, aber eine strukturierte Jugendarbeit war durch den Militärdienst kaum möglich. Torhüter Klodt etwa musste fast eine ganze Saison wegen einer Schusswunde pausieren und stand nach seiner Genesung mit einem anderen Torhüter abwechselnd auch als Feldspieler auf dem Platz, weil keine anderen geeigneten Spieler da waren. Dazu wurde es logistisch immer mehr zu einem Problem, weil Reisen nicht mehr so leicht möglich waren. Irgendwann wurde auch Deutschland und speziell das Ruhrgebiet zur Kampfzone. Zeitzeugen beschreiben, dass der Spieltag am Sonntag ein Spiel zwischen Alarmen wurde. Schalke kämpfte weiter, bis an einem Sonntag im Juli ´44 dann Westfalia Herne zum Auswärtsspiel kam, doch statt der Glückauf Kampfbahn nur ein zerbombtes Feld vorfand. Es war der Tag nach der Beerdigung Papa Unkels. Der Kreisel stand still.
Wenn der Kreisel mal ins Stottern geriet
Zeit seines Bestehens war der Schalker Kreisel für den filigransten Fußball zuständig, den Deutschland je gesehen hat. Paradoxer Weise entsprang die hohe Kunst aus der Arbeiterschicht. Und so sehr sich die Leute auch dran erfreuten, so laut schimpften sie, wenn es nicht funktionierte. Die Kritik ist dabei sehr ähnlich zu dem, was sich Barcelona, Spanien, die Bayern und Deutschland in den letzten Jahren anhören durften.
Blicken wir als Beispiel auf die Finalniederlage der Deutschen Meisterschaft gegen Hannover 96 im Jahre 1938. Zwar versuchte ein Teil der Schalker die eigene Mannschaft wieder aufzupäppeln, der andere Teil war jedoch sehr enttäuscht und prügelte auf sie ein. Besonders die Fachpresse überschlug sich. Schalke sei viel zu verspielt und versuche den Ball ins Tor zu tragen. Vor lauter Kombinationsspiel vergesse man das Toreschießen und sowieso neige man zur Selbstverliebtheit. „Schalke kreiselte wieder einmal zu viel“, hieß es. Die Presse war vernichtend.
Das Medien-Echo verwirrt ein wenig, denn einerseits war Hannover ein starker Gegner, der schon in den Vorjahren von sich reden machte, und andererseits war das Ergebnis denkbar knapp. Damals gab es noch kein Elfmeterschießen und wenn nach einer Verlängerung noch kein Sieger bestimmt wurde, musste ein Wiederholungsspiel anberaumt werden. Schalke verlor dieses Wiederholungsspiel in der Verlängerung mit 4:3. Gegen einen starken Gegner kann also gar nicht so viel schief gelaufen sein.
Und doch zeigt dieses Beispiel, dass die hohe Kunst des Kombinationsspiels durch Schalke zwar in Deutschland ankam, dass die allgemeine Öffentlichkeit damit aber schon immer so seine Probleme hatte. Dennoch schien der Gegensatz der technischen Finesse zum Arbeiterverein in einer industriellen Gegend wie dem Ruhrgebiet damals weniger Gegensatz als heute. Traditionell sind Schalke Schön-Spieler, keine Fußballkämpfer. Im Gros der Spielberichte der damaligen Zeit war etwas zu lesen, dass wie eine Variation hiervon klang: Nürnberg kämpft, Schalke spielt.
Von Rivalen und Respekt
Nürnberg wurde in der erfolgreichen Zeit zum großen Konkurrenten, dessen Meisterschaftsrekord 1942 schließlich eingestellt werden konnte (beide 6 Mal Deutscher Meister). Insgesamt verstand man sich aber immer gut mit der Mannschaft aus dem Süden. Oft wird Berichtet, dass beide Teams nach dem Spiel zusammen feierten und der besiegte der erste Gratulant für den Sieger war.
Eine noch viel engere Rivalität verband den FC Schalke 04 damals mit der Fortuna Düsseldorf mit Paul Janes in den Reihen. Spiele gingen mal so aus, mal so, fast immer begegnete man sich auf Augenhöhe. Insgesamt wechselten sich Siege und Niederlagen gegen große Namen immer wieder ab. Hellmuth Schön konnte beim Dresdner SC 1940 noch geschlagen werden, während er ein paar Jahre später Schalke besiegte und die Meisterschaft gewann. Der 1. FC Kaiserslautern mit dem jungen Fritz Walter wurde besiegt und konnte später nicht mehr eingefangen werden. Und während Borussia Dortmund sich in den Kriegsjahren um dem gewandten Herbert Erdmann herum stark verjüngte, wuchsen sie nur langsam zu einem Ernstzunehmenden Gegner. Erst nach dem Krieg, der Schalke stark zerfledderte, kam es zur Wende im Westen, und der BVB konnte zum erfolgreichsten Verein der neu gegründeten Oberliga West aufsteigen.
In den goldenen Jahren gab es zwei Spiele, die besonders herausragen. Sowohl wegen der Qualität die Schalke jeweils auf den Platz brachte, als auch auf das Echo, dass es erzeugte. Ein Gastspiel des Brentford FC, eines der stärksten Teams Englands und das Finale um die Deutsche Meisterschaft gegen die starke Wiener Schule vertreten durch den SK Admira Wien. Beide Spiele konnte Schalke klar und überzeugend gewinnen. Die Knappen spannten kunstvolles Ballgewebe über den Rasenteppich und die Welt horchte auf, was da in Gelsenkirchen passierte.
Auch bei der Nationalmannschaft waren Schalker Dauergäste. Allen voran Fritz Szepan der lange Deutschland als Kapitän führte, 1934 sogar auf den dritten Platz der Weltmeisterschaft in Italien. Später bei Freundschaftsspielen in Irland und Schottland etwa begeisterte er die Gastgeber, wenn „er den Ball mit dem Feingefühl eines Billardkünstlers über den Rasen gleiten ließ“.
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Der Schalker Kreisel beherrschte Fußball-Deutschland auf beispiellose Weise. Die Gebrüder Fred und Hans Ballmann brachten das Kurzpassspiel nach Gelsenkirchen, wo Ernst Kuzorra und Fritz Szepan es perfektionierten. Schalker wirbelte und Titel purzelten. Die elementaren Bestandteile waren kurze flache Pässe, aktives Freilaufen, Finten und kluge Dribblings.
Quellen & Dank
Herzlichsten Dank an Tina Limberg (Museum) & Sven Graner (Fanbetreuung) vom FC Schalke 04 für die freundliche Unterstützung bei meiner Recherche. Ich kann jedem nur raten: Geht mal ins Schalke Museum. Das ist definitiv einen Besuch wert. Nicht zuletzt weil man im Videotunnel ein paar Höhepunkte des Kreisels zu sehen bekommt.
Die Karikatur stammt von Curt Mueller, dem legendären Karikaturisten des „Sport-Beobachters“ und ist aus dem Buch „Die Blauweißen Fußballknappen“ (s.u.) entnommen.
Die folgenden Bücher waren nicht nur Quelle für meine Recherchen, sondern sind auch unbedingte Leseempfehlung:
- Theodor Krein. Die blau-weißen Fußballknappen. Der Weg des F.C. Schalke 04. 1948. Details.
- Christoph Biermann. Wenn wir vom Fußball träumen: Eine Heimreise. 2014.
- Stefan Goch. Zwischen Blau und Weiß liegt Grau: Der FC Schalke 04 in der Zeit des Nationalsozialismus. 2005.
Sehr schöner Artikel, klasse! Ich hatte mich vor einiger Zeit auch mal ins Thema eingearbeitet und würde gerne noch ein, zwei Dinge ergänzen.
Die Ballmann-Brüder waren sicher wichtig bei der Entwicklung des Schalker Kreisels, oft wird es mir aber zu sehr auf sie reduziert. Der Name Hans „Bumbes“ Schmidt wird gerne unterschlagen bzw. auf sein Konditionstraining reduziert. Dabei war der Trainer (1933-38 auf Schalke) ein Vertreter der süddeutschen Schule, die sich das schottische Passspiel zum Vorbild nahm. Er spielte bei Fürth unter Townley, dem Pionier des Flachpasses in Deutschland, und später bei Nürnberg zusammen mit Hans Kalb, dem ersten großen deutschen Mittelläufer. Schmidt dürfte dafür verantwortlich gewesen sein, dass Schalke besser trainiert und ihren Kreisel mit mehr Kondition und besserer Vorbereitung kombinierten.
Man muss ebenfalls dazu sagen: In den Titel-Zeiten war der Schalker Kreisel weniger verspielt als in den Jahren um 1930. Irgendwann Mitte des Jahrzehnts kam die Umstellung auf das Mode-gewordene WM-System, das automatisch einen Tick defensiver interpretiert wurde.
Aber das sind Kleinigkeiten. Nochmal großes Lob für den Artikel!
Vielen Dank, freut mich zu hören.
Dass der Kreisel „erwachsener“ wurde, wollte ich eigentlich raus bringen. Immer wieder fiel Schalke aber zurück in die Verspieltheit. Gut, dass Du das nochmal rausgehoben hast.
Über die Trainer im allgemeinen habe ich tatsächlich nicht viel herausfinden können. Weiß nur, dass der Bayer ob seines Hangs zu Fluchen im Pott sehr beliebt war. Sehr interessant was Du schreibst.
Lesen bildet. Es war eine Freude deinen Artikel zu lesen. Du bist auf viele unterschiedliche Aspekte eingegangen, die ich nicht kannte. Großes Lob und Danke. Ich hoffe, du erfreust noch mit zwei weiteren Spielanalysen. Es ist immer toll, deine Artikel zu lesen.
Das freut mich zu hören, vielen Dank.
Es werden sicher noch mehr als 2… Wieviele es aber dieses Jahr noch werden, kann ich nicht absehen. Dezember sind immer so vollgestopft. 😉
Kann mich den vorherigen Kommentatoren nur anschließen! Klasse Beitrag und eine schöne Reise zurück in die Vergangenheit! Hat echt Spaß gemacht dies alles zu lesen, von dem mir einiges, zu meiner Schande, noch nicht geläufig war.
Das ist keine Schande. Ging mir ganz genau so. Ich glaube wir kennen alle ein paar Eckpunkte aber nur sehr wenige die ganze Geschichte. Darum habe ich mich aus eigenem Interesse ja eingelesen und alles schließlich zusammengefasst. Das gleiche könnte man vermutlich für jede einzelne Epoche machen, schließlich trieft Schalke vor Tradition ja förmlich. 🙂
Ein super Artickel,so wird Fussball der jüngeren Generation erklärt.