Im Weser-Stadion traf der FC Schalke 04 am Samstag auf das Heimteam aus Bremen. Beide Mannschaften spielten mit Fünferketten und beide hatten sich diese Saison noch nicht im Ballbesitz profiliert. Letztendlich entwickelte sich eine etwas zähe Pressingpartie auf hohem Niveau, in der Schalke das nötige Quäntchen Glück hatte.

Schalke gegen den Ball – Tedescos spannendes Pressing

Es ist langsam an der Zeit sich hier auf halbfeldflanke nochmal genauer mit Tedescos Pressingansatz zu beschäftigen. Bis ein finales Urteil möglich ist, wird es noch einige Zeit brauchen, doch die Grundprinzipien und die momentane Entwicklungsrichtung sind bereits absehbar. Schalke formiert sich defensiv in einem 5-2-3, das aber auch situativ zum 5-4-1 wird. Eröffnet wird das Angriffspressing meist durch ein leitendes Anlaufen Burgstallers oder eines der Flügelstürmer auf einen Innenverteidiger. Der nun angespielte Akteur wird nun aus der vorderen Reihe deutlich aggressiver attackiert und außerdem auf den Flügel geleitet. Auch wenn nicht zuerst rüber geleitet wurde ist das Anspiel auf den gegnerischen Außen- oder Halbverteidiger ein Signal für die Schalker ins Pressing zu gehen.

Soweit eigentlich Standard, wenn auch inzwischen ziemlich gut umgesetzt. Was mich aber wirklich beeindruckt sind die Folgebewegungen der vorderen drei. Nicht nur, dass der ballnahe Flügelspieler sehr engagiert von hinten unterstützt, wenn der Gegner die Linie runterspielt, der ballferne Flügelspieler und der Stürmer bewegen sich dann auch immer ins Zentrum und sichern den gegnerischen Achter- /Sechserraum ab. Dadurch ist die Kompaktheit bei Schalke immer sehr hoch. Was mich aber noch mehr beeindruckt ist die Art und Weise wie überhaupt gepresst wird. Denn Schalke presst nicht unbedingt mannorientiert und auch nicht raumorientiert, sondern optionsorientiert.

In dieser Szene hat Sané gerade Velkjovic angespielt, der von Harit angelaufen wurde (blaue Linie), sollte Veljkovic nun auf Augustinsson spielen, dann wird Harit einfach auf ihn durchlaufen, und dabei Veljkovic in seinen Deckungsschatten nehmen (ebenfalls blaue Linie). Augustinsson wird also die Option nach hinten genommen. Sollte stattdessen der Rückpass auf den Torhüter erfolgen, würde Harit einfach Velkjkovic in Manndeckung nehmen. Je nachdem wie die Szene sich weiterentwickelt, könnte es ihn danach auf den Flügel oder ins Zentrum treiben. Auch den anderen Schalker Spielern stellen sich verschiedene solcher Optionen (schwarze Linien). Burgstaller würde im Fall eines Rückpasses auf Pavlenka Sané in den Deckungsschatten nehmen, sollte aber ein Pass auf den Außenverteidiger folgen, dann würde Burgstaller sich eher in den gegnerischen Sechserraum bewegen, vielleicht aber auch in Richtung Veljkovic, falls der sich aus Harits Deckungsschatten bewegt. Stambouli kann sich je nach gegnerischer Bewegung entweder auf Delaney rausrücken oder Calgirui gegen Augustinsson absichern. Konoplyanka wird sich beim Pressing auf den Torhüter an Bauer orientieren und beim Spiel den Flügel runter wird er ins Zentrum einrücken.

Schalke verschiebt also nicht einfach in der Formation und orientiert sich nicht einfach am Mann, sondern die einzelnen Spieler passen sich sehr flexibel an die Situation an. Dabei gibt es mit Sicherheit gewisse Grundprinzipien nach denen sie ihre Entscheidungen treffen sollen. Die Zentrumsabsicherung ist Tedesco zum Beispiel sehr wichtig, besonders die Kontrolle der Halbspuren, von denen er so gerne auf Pressekonferenzen spricht. Teilt man das Spielfeld in fünf Bahnen auf, die alle von Torauslinie zur Torauslinie reichen, dann finden sich links und rechts die Flügel, in der Mitte das eigentlichen Zentrum und dazwischen die beiden Halbspuren (oder auch Halbräume). Hierin orientieren sich auch die Flügelspieler immer wieder, wenn eine neue Situation entsteht. Ein anderes Grundprinzip scheint das Leiten auf dem Flügel und das im Moment des gegnerischen Passes auf die Seite insgesamt die Aggressivität und Intensität erhöht wird. Eventuell gibt es auch noch weitere solcher Prinzipien, das ist von außen schwer zu beurteilen.

Insgesamt ist die neue Schalker Defensivanlage sehr flexibel und sehr ausgereift. Keine Mannschaft schaffte es bis jetzt konstant in die zentralen Räumen einzudringen. Besonders gegen Mannschaften mit Fokus auf Ballbesitzdominanz dürfte unser Pressing sehr stark sein. Schon gegen Leipzig konnte Schalke damit gut bestehen, obwohl es den Königsblauen in dem Spiel noch mehr an Routine und Intensität fehlte.

Probleme gibt es aber dennoch. Mit der Zeit ging die Intensität und Konzentration wieder zurück und die Werderaner konnten zu einigen Ballbesitzphasen kommen. Auch ist das Verhalten der Spieler vor der Fünferkette in Strafraumnähe teilweise recht chaotisch. Wenn das Angriffs- und hohe Mittelfeldpressing überwunden ist, wird Schalke dann auch gerne mal etwas zu passiv. Durch den Fokus auf das Zentrum gelingt es den Gegnern doch immer wieder auf dem Flügel Platz zu finden. Von dort konnte dann Bremen dann die nicht immer hundertprozentige Organisation beim tiefen Verteidigen ausnutzen.

Zusätzlich zu diesen systemischen Problemen schien auch Stambouli etwas von seiner Rolle überfordert zu sein und traf immer wieder falsche Entscheidungen bzw. agierte zu inkonsequent. Ein interessanter formativer Aspekt war, dass durch die beiden zentrumslastigen Systeme, die Außenspieler in der fünferkette eigentlich auf beiden Seiten viel Raum hatten, den aber nur Augustinsson wirklich nutzte. Dennoch wurde man von der durchaus starken Bremer Offensive keineswegs konstant umspielt. Es gab im Pressing und im Gegenpressing sogar viele Balleroberungen, doch dann folgte auch schnell wieder der Ballverlust. Das führt uns zum Schalker Offensivspiel.

Schalke mit Ball – zwischen Tempofußball und Hektik

Während das Schalker Pressing sehr interessant und vielschichtig ist und trotz einiger Schwächen und Kinderkrankheiten auch ziemlich gut, finden sich beim Offensivspiel noch mehr Fragezeichen. Es gibt ein paar Sachen die überzeugen:

  • die tiefe Ballzirkulation
  • die Rollenverteilung der Offensivspieler und deren Laufwege bei Kontern
  • die Steilpässe

Aber es gibt auch viele Probleme. Goretzka und die Flügelläufer sind noch nicht so wirklich sinnvoll eingebunden. Es gibt keine Ballzirkulation und damit auch bei hohem Ballbesitzanteil keine wirkliche Dominanz. Außerdem führen die fehlenden Mechanismen zu mehr Hektik nach eigenem Ballgewinn. Im Strafraum wiederum wirkt vieles improvisiert.

Gegen Bremen waren all diese Schwächen sichtbar. Ähnlich wie Hannover verteidigte Bremen extrem hoch und mannorientiert – erneut hatte Schalke damit große Probleme. Die Bremer schafften es so immer die königsblauen Spieler unter Druck zu setzen. Leipzig tat das mit ihrem raumorientierten Pressing auch, doch da fand Schalke die richtigen Herangehensweisen um kurzfristig Raum zu öffnen, oder es wurde gleich der lange Ball gewählt. Gegen Werder versuchte man es durchaus mehr mit spielerischen Mitteln, aber die permanenten Manndeckungen verhinderten, dass Schalke sich gut befreien konnte. Auch im Gegenpressing fanden sie immer den Zugriff, da waren sie formativ mit ihrem 5-3-2 auch gut gewappnet, schnelle Flachpässe durchs Zentrum abzufangen.

Durch die Hereinnahme des defensiveren Stambouli konnte Goretzka offensiver agieren und operierte diesmal außerdem nicht als rechter, sondern als linker Achter. Viel Ertrag brachte das nicht, hatte allerdings weitere Folgewirkungen. Goretzka fehlte dadurch teilweise defensiv und vor allem ließ sich Harit mehr in den Achterraum fallen, um dort die Verbindung herzustellen. Doch dort ging er dann zu häufig ins Dribbling und auch bei guten Szenen in höheren Zonen wurde er bei den Anschlussaktionen (Pass nach dem dribbeln zum Beispiel) immer wieder etwas hektisch.

Da Schalkes Offensivspiel auf den Schultern des Offensivtrios liegt fällt so eine nicht optimale Tagesform eben auch mehr ins Gewicht, insbesondere da auch Burgstaller und Konoplyanka nicht ihre besten Tage hatten. Letztendlich war man nicht harmlos, aber eben auch nicht richtig gefährlich. Offensiv ist Schalke gerade eben eine Kontermannschaft, gegen ein Bremen, das in erster Linie das Spiel zerstören und dann selbst überfallartig angreifen wollte, erarbeiteten sie sich darum auch keine Überlegenheit.

Zweite Halbzeit

Dass Tedesco Bentaleb für Stambouli brachte hatte am Anfang tatsächlich den Effekt, dass Bremen erstmal deutlich weniger Zugriff bekam. Doch die Bremer schafften es dann über eigenes Ballbesitzspiel und gutes Aufrücken und Ausspielen der Breite gegen ein deutlich weniger konsequentes Schalker Pressing zu einer gewissen Überlegenheit. Schalke war aber beim Kontern nicht ungefährlich und schlussendlich reichte ein Standard zum Führungstreffer. Danach präsentierte sich Schalke dann auch wieder kompakter und verteidigte die knappe Führung souverän gegen ein offensiv doch mit begrenzten Mitteln agierendes Bremen.

Insgesamt war auch die zweite Hälfte aus Schalker Sicht von den gleichen taktischen Aspekten geprägt wie die erste. Es war durchaus sehr interessant wie gut di Santo und Burgstaller und später auch noch Embolo harmonierten. Tedesco hat zwar mit Stürmer reinbringen eine eher altbackene Herangehensweise an einen Rückstand gewählt, doch eben sehr gut umgesetzt. Auch defensiv arbeiteten die drei Stürmer gut mit und Embolo machte Lust auf mehr.

Fazit

Tedesco geht weiter seinen Weg mit Schalke. Viele Änderungen wurden vorgenommen, defensiv steht das Grundkonstrukt und wird sich im Laufe der nächsten Spieltage vermutlich noch besser zusammenfinden. Offensiv gibt es da noch mehr Fragezeichen. Wobei die Offensive auch im Moment sehr wohl gut funktioniert, um konstant Gefahr auszustrahlen. Niemand konnte Schalke bis jetzt wirklich den Zahn ziehen – das macht auch Hoffnung gegen Bayern – aber Schalke konnte auch noch niemanden wirklich dominieren. Dennoch bis jetzt ein gelungener Saisonstart, auf dem man punkte- und leistungsmäßig aufbauen kann.

Wie Tedesco unser Offensivspiel weiterentwickelt wird in den nächsten Wochen spannend zu beobachten sein. Abschließend möchte ich noch darauf verweisen, dass inzwischen meine Vorschau  zum Spiel gegen Bayern bei der WAZ veröffentlicht wurde.

11 Replies to “Sieg im Pressingduell

  1. Vielen Dank für die umfassende Analyse, hatte mich schon richtig drauf gefreut. Insbesondere das Herausarbeiten des „Optionspressings“ finde ich einen sehr interessanten Ansatz, der mir sehr richtig erscheint.

    Auffällig waren aus meiner Sicht gegen Bremen noch zwei weitere Punkte. Die Abwehrkette hat sich diesmal nur in ganz kurzen Phasen zu tief fallen lassen. Insbesondere in der zweiten Halbzeit gab es eine gelungene Werder Offensivaktion (Ablage von Belfodil auf Bartels) wo meiner Ansicht nach die Abstände zwischen den Reihen (Offensiv- und Defensivreihe bei uns nicht gepasst haben). Das zutiefe Stehen der Reihen war ja ein Kritikpunkt von Tedesco nach dem Stuttgart-Heimspiel. Außerdem bemängelte er falsches offensives Anlaufen (zu oft den Gegner gestellt anstatt durchzulaufen), auch diesen Punkt hat die Mannschaft gegen Bremen aus meiner Sicht durchaus beherzigt und es deutlich besser gelöst.
    Ich würde mich über eine Einschätzung Eurerseits zu den angesprochenen Punkten freuen, viele Grüße!

  2. Sehr interessanter Artikel, wollte heute gleich mit dem Vorbericht in der WAZ weiterlesen, habe aber bislang nichts gefunden. Könnt Ihr hier vielleicht den Link veröffentlichen?
    Danke und Grüße

  3. Gute Einschätzung zur aktuellen Lage.
    Ich finde aber nicht, dass Schalke Momentan ein 523 oder 541 spielt.
    Für mich ist es eher ein 343 oder 351. Die Außen schieben nur situativ mit auf Höhe der Kette. Dies war in den Vorjahren deutlich anders. Da „parkten“ die Außen wirklich auf Höhe der 3er Kette und es war dann zurecht eine 5er Kette.

    1. Da würde ich ziemlich klar widersprechen. Die Flügellläufer haben doch eigentlich viel weniger Offensivaktionen im letzten Drittel als Kolasinac und Schöpf letzte Saison. Im Pressing laufen sie eigentlich nie den Außenverteidiger an (war letzte Saison teilweise anders) und auch der gegnerische Flügelspieler wird aus der Tiefe kommend angelaufen. Vor allem verschieben die Flügelläufer immer völlig klar als Teil einer Fünferkette mit den innenverteidigern. Schiebt Caliguri raus, dann schiebt Kehrer nach. Das ist ein klarer Kettenmechanismus. Goretzka wird aber nicht in gleicher Weise einfach nachschieben um den Abstand und die Kompaktheit zu halten. Es gibt zwischen den beiden Sechsern und den Flügelspielern null Kettenmechanismen (wenn auch natürlich gegenseitige Unterstützung). Also auch wenn Goretzka nach links verschiebt wird Caliguri nicht einfach in den Sechserraum nachrücken.

      1. Habe am Freitag im Stadion noch mals drauf geachtet. Du hast recht. Zumindest in dem Spiel war es eine klare 5er Kette. Würde vielleicht auf erklären, warum es andere Vereine schaffen mit einer 3er-Kette offensiv sehr präsent aufzutreten und wir uns mit offensiver Überzahl doch sehr schwer tun.
        Würde mich mal interessieren, ob es Anweisung von Tedesco ist, so die Verbindung zu den 3en in der Mitte zu suchen oder die Spieler sich aus Respekt so tief fallen lassen. Er selber spricht ja schon relativ häufig von einem 343.

  4. Danke für die interessante Analyse! Das Pressing hast Du besonders anschaulich und faszinierend erklärt. Hut ab!

    Ich frage mich oft, ob Tedesco das eher nach 5-2-3 aussehende 3-4-3 vielleicht mit der Zeit offensiver machen will, wenn die Abstimmung im Angriff besser klappt und wir diese Überzahl auch halbwegs verlässlich ausspielen können, ohne im Kombinationsspiel ständig den Ball zu verlieren. Er wäre ja nicht der erste Trainer, der zunächst einmal die Defensive sichert; und die noch fehlende Effektivität im Angriff hat er auch schon bemängelt, als dieses Problem von außen noch gar nicht so offensichtlich war.

    Dass Stambouli mehr Probleme als Andere hatte, habe ich gar nicht so gesehen. Im Ballbesitz kam er mir vielmehr oftmals vor wie die sprichwörtliche arme Sau, weil der Ball immer wieder zu ihm gepasst wurde, obwohl er kaum Anspielstationen hatte. Ich erinnere mich an eine Szene, in der er dem gegnerischen Pressing etwa fünfmal hintereinander mit kurzen Pässen entweichen konnte, den Ball aber sofort wieder zurück erhielt. Unter dem Mangel an Optionen hatte er schon zu leiden. Dass er im Spiel gegen den Ball falsche Entscheidungen traf, ist möglich. Wie gesagt, das habe ich nicht genau gesehen.

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