Der Halbfeldflanke & Friends Adventskalender 2020 zu unseren Lieblings-Schalkern. Heute mit Yves Eigenrauch von Tobias Weckenbrock.

Wer Ozan Kabak und Salif Sané als Innenverteidiger in seinem Team hat, wer würde sich da nach Yves Eigenrauch sehnen? …

Moment. Die halbe Schalke-Welt. Mindestens!

Yves Eigenrauch aus Minden, geboren in den 70er-Jahren, 1990 gewechselt von Arminia Bielefeld zu Schalke 04. Sein Bundesliga-Debüt gab der (verhaltens-)auffällige Fußballer am 9. November 1991. Bald schon rief ein halbes Stadion seinen Namen, wenn er in die Nähe des Balles kam. Vielleicht, weil Yves sich besser grölen lässt als Ozan. Vielleicht aber auch, weil er ein geilerer Typ war. Ein spezieller. Einer, der zu einem Club passt, der für sich selbst beansprucht, speziell zu sein.

Bis zum größten Spiel seines Lebens brauchte Yyyyyves, der 288 Bundesliga-Spiele für Schalke 04 absolvierte, noch sieben Jahre auf der Bundesliga-Weide: Es war der 17. März 1998, als Yves Eigenrauch nach einem Dreivierteljahr Verletzungspause wieder in unserer Startelf stand. Johan de Kock und Thomas Linke waren jetzt verletzt, im UEFA-Cup-Viertelfinale ging es gegen Inter Mailand.  Trainer Huub Stevens beorderte Eigenrauch neben Marco Kurz in die Innenverteidigung.

Lehmann, Thon, Büskens, Latal, Nemec, Wilmots, Max: Unser Team erinnerte noch sehr stark an die Formation, die fast ein Jahr zuvor ins Finale von Mailand eingezogen war und dort den FC Internazionale nach Elfmeterschießen besiegt hatte. Bei Inter stand nun aber ein Mann im Team, der den Unterschied ausmachen und die Revanche garantieren sollte. Sollte! Ronaldo, damals noch aufstrebendes Talent und späterer brasilianischer Wunder-Stürmer, zweimaliger Weltmeister, einer der größten Fußballer seiner Zeit.

„Der Blondschopf verurteilt einen Fußballer an diesem Tag nahezu zur Wirkungslosigkeit, der dieses Los in der Regel nicht gewöhnt ist“, schreibt schalke04.de über diesen März-Abend. Er spielte, wie Yves halt spielte: Eigenrauch hakte, war unbequem, er rannte, nie verbissen, aber immer ehrgeizig, war kein feiner Fußballer, auch kein Hacker, aber ein echt fieser Geist im Nacken des Angreifers. Nicht irre schnell, nicht hochbegabt, manchmal eher staksig als von Technik beschlagen. Ronaldo, der bullige Torgarant, lief sich fest, immer und immer wieder. Kam er an den Ball, hatte Yves schon seinen Fuß in der Nähe: Yves spielte seinen ungemütlichen Stil, wie immer, nur diesmal lief alles perfekt. Hinterher sagte er, er habe gar nicht genau gewusst, wer dieser Ronaldo überhaupt sei.

„Ich hatte kein Spiel meines Lebens“, sagte Eigenrauch in einem Interview 2014 dem Fußballmagazin „11 Freunde“. „Weder das Spiel, noch irgend­welche anderen. Ich habe Fuß­ball gespielt, weil es mir Spaß gemacht hat.“ Den Spaß, andere zu piesacken – nie merkte man Yves das mehr an als in diesem Spiel, über das er hinterher auch sagte: „Marco [Kurz] hat damals ein Super­spiel gemacht und nur weil mein Gegen­spieler einen noch grö­ßeren Namen hatte, rich­tete sich der Fokus auf mich.“

Schalke erzwingt nach dem 1:0 in der 90. Spielminute vor 56.800 Zuschauern im Parkstadion die Verlängerung des Viertelfinal-Rückspiels. Es war der heftigste Torjubel, den es in diesem Parkstadion für mich jemals gab, ekstatischer als alles andere jemals zuvor. Dazu hatte vor allem dieser Yves Eigenrauch den Weg bereitet. Spätestens da war er mein großer Held, auch wenn in diesem Spiel schon nach wenigen Minuten der Ekstase das Aus durch Taribo Wests 1:1-Ausgleichstreffer besiegelt wurde.

Der Fernsehbericht zum Spiel von damals. Sprecher: Jörg Seveneick.

Yves Eigenrauch, ein Typ, zu dem all das und auch der Triumph von Mailand ein Jahr zuvor irgendwie nicht passte. Er fühlte sich nie zu 100 Prozent wohl in diesem Fußballgeschäft, in diesem Profi-Leben, in Mannschaftskreisen, in denen es oft um Autos und Frauen und Autos und Frauen ging. Während andere im Mannschaftsbus daddelten, las er kluge Bücher. Er, der in seinem Badezimmer daheim eine Dunkelkammer zum Entwickeln eigener Foto-Abzüge hatte. Der den Bauhaus-Stil verehrte und der 1995 in einem Interview mal sagte: „Ich habe keinen 70er-Jahre-Tick. Aber hellblau auf gelb-orange ist toll. Und Spitzkragen – das muß einfach sein.“  

Dass Bundestrainer Berti Vogts ihn nach diesem Spiel zum Länderspiel gegen Brasilien in die Nationalelf berief, ist ihm bis heute eher fremd geblieben. Er galt stets als der „Belesene“, der „Reflektierte“, der „Schräge“ in diesem Business. Er passte nie ganz rein, nicht auf Schalke, aber da noch am ehesten, schon gar nicht in der Nationalmannschaft.

Vielleicht passte er deswegen so gut. Der Unorthodoxe, gegen den keiner so recht spielen will. Wie sehr würden wir uns in unserem Kader heute einen solchen wünschen? Einen, dessen Namen wir bei jedem Ballkontakt durch die Arena brüllen.

1995, als er mittendrin stand, erklärte der dem „Schalke Unser“ in einem Interview noch: „Die Yyyyves-Rufe geben mir einen Motivationsschub. Warum ich, frage ich mich manchmal. Aber die Fans mögen wohl meinen Ehrgeiz und Laufstil und merken, daß ich 90 Minuten alles geben will.“ 

2017, mit viel Abstand, meinte Yves Eigenrauch gegenüber der „Zeit“: „Für mich war das eher Druck. Ich hatte nun mal sehr begrenzte fußballerische Möglichkeiten, wollte aber den Leuten was zurückgeben, also gut spielen. Ich fand die Rufe auf der einen Seite schmeichelhaft, aber auf der anderen auch ein bisschen belastend.“

Im selben Interview gab er preis, dass er in Marl wohne. Mietwohnung. „Eine, die man durchsaugen kann, ohne den Staubsauger umzustöpseln. Gut, nicht ganz, einmal muss ich umstöpseln“, so Eigenrauch 2017 gegenüber der Wochenzeitung „Zeit“. So einen Profi: Man muss ihn einfach lieben.

Tiefgang hatte bei Yves Eigenrauch nie ein Ferrari oder ein Lamborghini (er fuhr lieber Roller), sondern nur er selbst. Dem Schalke Unser sagte er 1995, angesprochen auf ein eigenes Buch, das er damals veröffentlichte, und das mit dem Satz begann: „Im Glauben an den menschlichen Verstand; für Toleranz“: „Wenn mich was wirklich aufregt, dann ist das Intoleranz. Da werde ich richtig wütend. Man muss Dinge ja nicht immer schön finden, sondern sie akzeptieren können.“ Ist es intolerant, nicht akzeptieren zu können, dass unser Schalke heute nicht mehr auf Typen wie ihn baut? Mist! 

Adventskalender 2020:
Lieblings-Schalker von Halbfeldflanke & Friends.

Geschrieben von Tobias Weckenbrock

Tobias ist seit fast 25 Jahren Mitglied bei Emspower Rheine, seit ebendieser Zeit Dauerkarteninhaber. Er bloggt beizeiten im Schalkeweb. Sein erfolgreichstes Video bei YouTube (dotobs) ist sechsstellig, auf der Nordtribüne der Wellblechhütte nach dem 4:4 entstanden. Im wahren Leben ist er Papa und Lokal-Redakteur. Sein erstes Schalke-Spiel: eine Niederlage in der 2. Liga bei Preußen Münster. Er ist bei Twitter als @weckenbrock zu finden.

Der Halbfeldflanke & Friends Adventskalender 2020: Lieblings-Schalker

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