Die Hinrunde in der 2. Bundesliga neigt sich langsam dem Ende entgegen. Nach holprigem Start kam das Team von Trainer Grammozis zur Mitte der Halbserie in einen starken Rhythmus. Doch nach dem überraschenden Pokal-Aus in der zweiten Runde und den drei darauffolgenden sieglosen Ligaspielen musste sich nun etwas zum positiven wenden, um den Anschluss nach oben nicht zu verlieren.
Auf dem Papier war der Gegner Sandhausen dafür wie gemacht. Dieser stand mit der zweitschwächsten Defensive und der viert-erfolglosesten Offensive auf Platz 17. Und gegen die Mannschaften aus der unteren Tabellenhälfte schlug sich Schalke bisher gut – sechs Siege, ein Unentschieden und eine Niederlage.
Doch noch vor Anpfiff wurden diese rosigen Aussichten von schlechten Neuigkeiten getrübt. Terodde fällt mit einer Muskelverletzung aus und auch Latza fehlte für diese Partie. Außerdem hatte der Verein für die verbleibenden Heimspiele der Hinrunde auf 2G umgestellt. Dem wurde mit einem Stimmungsboykott begegnet.
Vier Veränderungen bei S04
Neben den verletzungsbedingten Wechseln in der Startelf – Pieringer kam für Terodde im Sturm und Zalazar für Latza auf der Acht – standen noch zwei weitere Neue von Beginn an auf dem Platz. Die rechte Außenbahn übernahm nach zwei Spielen, die Aydin starten durfte, wieder Ranftl. Außerdem – und wohl am überraschendsten von allen vier Veränderungen – fand sich Pálsson auf der Bank wieder und Flick spielte stattdessen auf der Sechs.
Am mittlerweile eingeschliffenen Spielsystem von S04 unter Grammozis änderten die personellen Wechsel derweil wenig. Weiter versucht Schalke im 3-1-4-2 aufzubauen, noch immer mit Übergewicht auf der linken Seite. Kommen die Außenbahnspieler nicht durch, wurde bisher entweder hintenrum verlagert oder ein langer Ball auf den Zielspieler im Sturm – bisher Terodde, heute Pieringer – gespielt, der diesen festmachen und weiterverteilen sollte.
Inzwischen hat sich das Repertoire aber erweitert. Schon gegen Bremen zeigten die Innenverteidiger mutige Vorstöße bis tief ins Mittelfeld. Nun zeigten sie anschließend des Öfteren scharfe Flachpässe in den Zehnerraum. Den dafür notwendigen Raum schuf meist Drexler mit seinen Ausweichbewegungen auf den linken Flügel. Er und Bülter sorgten für die Dynamik in der Schalker Offensive, während Pieringer primär für Klatschbälle und Zalazar für anschließende steile Dribblings zur Verfügung standen.
Gegen den Ball war die Grundformation zwar weiterhin das bekannte 5-3-2, allerdings wurde es ob der wenigen offensiven Szenen des Gegners viel lascher ausgelegt. Teils ließ sich nur ein Außenverteidiger in die letzte Kette fallen, manchmal blieben sogar beide vorne. Und auch Sechser und Achter mussten nicht immer eine Linie bilden.
Das Schalker Pressing kam kaum zum Zug, da Sandhausen früh den langen Ball spielte. Stattdessen wurden Ballgewinne in den folgenden Kopfballduellen erzielt. Gelang dies nicht, blieb dem S04 immer noch die solide Restverteidigung. In der gegnerischen Hälfte stellte man den SVS eigentlich nur mit dem starken Gegenpressing häufiger vor Probleme.
SV Standardaufstellung
Sandhausen zeigte sein übliches 4-2-3-1 und zwar sowohl mit als auch gegen den Ball. Mit diesem Ansatz wird das übliche Schalker System gespiegelt, jedem Gegenspieler ist also zu jeder Zeit ein eigener Spieler zugeordnet – so zumindest die Theorie. Außerdem entfällt die Umsortierung in Umschaltmomenten, wenn die Grundformation sowieso gleich bleibt, egal wer im Ballbesitz ist.
Daraus ergibt sich aber auch direkt eine Schwäche dieser Herangehensweise: Wird ein eigener Mann überspielt, kann der ballführende Spieler nur noch aufgenommen werden, indem die Deckung auf einen anderen Gegner aufgehoben wird. Deshalb auch die frühen langen Bälle im Aufbau, um Ballverluste in der eigenen Hälfte mit aller Möglichkeit zu vermeiden.
Mit Benschop kam deshalb ein kopfballstarker Spieler als Ersatz für den gelbgesperrten Zenga ins Mittelfeld und rückte für Ritzmaier auf die Zehn. Die einzige Änderung war ansonsten Soukou, der für Esswein links in der Offensive startete. Er sollte später beide Tore der Auswärtsmannschaft vorbereiten.
Torlose erste Hälfte
Schalke kam gut ins Spiel, auch weil Sandhausen zunächst viel zu passiv agierte, zum Beispiel erst in der eigenen Hälfte begann, den gegnerischen Aufbau zu stellen. Außerdem standen die Außenverteidiger Okoroji und Diekmeier meist viel zu tief, um Ranftl bzw. Ouwejan stören zu können. Erforderlich wurde dies durch die schon beschriebene ständige Bewegung in der Schalker Offensive.
In der Anfangsphase wurde Sandhausen zunehmend am eigenen Strafraum eingeschnürt. Die Schalker Flügel hatten die Freiheit eine Flanke nach der anderen zu schlagen, Befreiungsschläge konnte Testroet allein gegen drei Verteidiger nicht gewinnen und so kamen sie oft postwendend zurück. Pieringer gelang es auf der anderen Seite hingegen bemerkenswert gut, lange Bälle zu gewinnen und zu behaupten.
Schalke zeigte dann auch ein gutes Nachrückverhalten an und in den Strafraum. Der ballferne Außenbahnspieler ging immer wieder diagonal an den langen Pfosten und selbst die beiden äußeren Innenverteidiger rückten oft bis weit in die gegnerische Hälfte auf. So kam etwa Thiaw nach zehn Minuten in die Position für seinen ansehnlichen Schlenzer an die Latte.
Allein wenn es darum ging, den letzten Pass in den Strafraum zu bringen, tat sich Schalke gegen die schiere Masse an Gegenspielern schwer. Es fehlte aber nicht nur an Platz, sondern auch am Einverständnis, ob der Ball vors Tor oder an die Strafraumkante zurückgelegt werden sollte. Oder ob er an den kurzen oder langen Pfosten, hoch oder flach gespielt werden sollte. Und kam er doch durch, fehlte es in Halbzeit eins schlicht am Abschluss – etwa bei Zalazar in der 45. Minute.
Weil auch die zahlreichen Ecken und Freistöße nicht ankamen, blieb die dominante erste Halbzeit trotz allem torlos. Abseits dessen ließen sich aber auch gute Aspekte in die Pause mitnehmen. Die neue Facette des Aufbauspiels hatte gegriffen und defensiv war Schalke noch überhaupt nicht in Gefahr geraten.
Neu-Kapitän Drexler zeigte mit, vor allem aber auch abseits des Balles eine starke Partie und dirigierte seine unerfahrenen Nebenmänner Flick, Zalazar und Pieringer geschickt. Aber auch Bülter zeigte eine seiner besten Leistungen schon in Durchgang eins – ausgenommen davon waren leider die beiden prägnantesten Szenen, die vergebene Großchance in Minute acht und die Gelbe Karte kurz vor Halbzeit.
Und plötzlich das Gegentor
Schalke wollte in Sachen Dominanz in Halbzeit zwei wohl direkt da weitermachen, wo man vor der Pause aufgehört hatte. Doch im Anschluss an eine eigene Ecke verlor man den Ball kurz vorm Mittelkreis und wurde brutal ausgekontert. Vorangegangen war eine lange Kette an persönlichen Fehleinschätzungen.
Zunächst war der zweite Ball bei Zalazar gelandet, sein Distanzschuss geblockt worden und trotzdem kam er in Flankenposition nochmal an den Ball. In diesem Moment sind noch immer sechs Schalker im gegnerischen Strafraum. Itakura, der zuvor im Spiel nie für zweite Bälle vorne geblieben war, zieht diesmal steil in den Strafraum. Zalazar erwartet aber einen Lauf den Flügel herunter von Linksfuß Ouwejan, verzögert zu lange, flankt selbst nicht und muss schließlich zurückpassen.
Bei der Verlagerung auf links über Ouwejan und Ranftl danach kommt es zur Katastrophe. Ranftl verspringt der Ball, er setzt nach, bekommt ihn mit seinem schwachen Linken aber nicht weggespielt. Ouwejan und Thiaw von der anderen Seite gehen ins gewohnte Gegenpressing. Nur Flick sichert ab, die rechte Seite ist komplett offen.
Zalazar bleibt hier viel zu lange an der rechten Seitenauslinie kleben, eine mögliche Anspielstation ist er schon lange nicht mehr, gleich werden aber Vorlagengeber Soukou und Torschütze Ritzmaier an ihm vorbeilaufen, er beginnt erst später in gemütlichem Dauerlauf den Gang zurück.
Itakura ist entgegen des bisherigen Spiels immer noch vorne im Strafraum, auch er hätte an den beiden Sandhäusern dranbleiben können. Er startet seinen Vollsprint zurück, aber erst, als es schon zu spät ist – ebenso wie Kamiński und Bülter.
Ouwejan und Thiaw kommen nicht richtig ins Gegenpressing, können aber bis zur eigenen Strafraumkante Soukou bzw. Testroet einholen. Nur Ritzmaier ist links von Soukou noch anspielbar. Flick verpasst den Moment der Übergabe seines Gegenspielers an Ouwejan und dreht sich dann gegen den Uhrzeigersinn als der finale Pass gespielt wird und verliert so jegliches Tempo. Der Ball wird locker ins kurze Eck an Fraisl vorbeigelegt.
Und dann doch noch 5 eigene Tore in 25 Minuten!
Was noch vor Monaten der moralische K.O.-Schlag gewesen wäre, kann das Team von Trainer Grammozis inzwischen ganz gut wegstecken. Zwar macht sich Aydin warm – eine Option zum Lösen enger Situationen – weil Sandhausen in Führung aber nicht erkennbar umstellt und Schalke weiterhin sein dominantes Spiel weitermachen lässt, kommt es nicht zum Wechsel.
Es folgt die offensiv erfolgreichste Vorstellung seit … *schaut in die Historie* … August 2019 gegen Drochtersen/Assel. Und das aus verschiedensten Situationen. Flache Verlagerung auf rechts, Dribbling und Steilpass von Ranftl, Drexler legt flach auf Ouwejan am langen Pfosten, 1:1. Andribbelnder Innenverteidiger Thiaw diagonal nach links, Drexler, Ouwejan, Flanke, Ball fällt Bülter vor die Füße, 2:1. Eckball, Bülter verlängert am kurzen Pfosten, Eigentor Zhirov, 3:1.
Sandhausen greift nochmals über unsere rechte Abwehrseite an. Soukou und Testroet kombinieren sich durch sechs Gegenspieler durch, überzeugen im Abschluss nochmals mit blanker Effizienz. Aber Schalke bleibt unbeeindruckt und legt vorne einfach weiter nach.
Ein langer Ball von Pieringer festgemacht und auf rechts abgelegt, Ranftl zieht Richtung Grundlinie, flache Flanke an den kurzen Pfosten, Hacke Bülter, 4:2. Und schließlich gewinnt Pieringer nochmals den Ball in der eigenen Hälfte, Dribbling Zalazar, auf Bülter, zurück auf Zalazar, Schuss von der Strafraumkante, 5:2.
Danach wechselt Schalke noch fünfmal. Unter anderem gibt Rzatkowski sein Debüt. Um nennenswerte Veränderungen im Spiel zu beobachten, fehlt dann aber schlicht die Zeit, drei der Eingewechselten kommen überhaupt nicht mehr an den Ball. Auch Sandhausen gelingt nichts mehr und so trudelt das Spiel schließlich aus.
Was der Advent nun noch bringt
Bis zur Winterpause sind es nun also nur noch drei Spiele. Alle gegen Spitzenteams. Die beiden Hamburger Vereine dabei auswärts. Momentan steht Schalke ordentlich in der Tabelle da, sechster Platz, drei Punkte hinter Rang zwei. Und doch kann sich das mit den starken Gegnern bis zum Jahresende noch deutlich verändern. Von abgeschlagen im Mittelfeld bis erstmals auf einem direkten Aufstiegsplatz ist alles möglich.
Latza und Terodde fehlen derweil und müssen schnell zurückkehren, auch wenn ich die Leistungen des jeweiligen Ersatzes nicht schmälern möchte. Pieringer ist richtig stark als Zielspieler im Aufbau, sein Abschluss allerdings und auch sein Freilaufen im Strafraum sind aber natürlich deutlich schwächer als bei Terodde. Vielleicht würde hier etwas mehr Spielzeit weiterhelfen, bisher wurde er in der Liga ja wenn dann in der Schlussphase eingewechselt.
Zalazar wiederum wird von den meisten eher gefeiert als kritisiert. Seine Dribblings und Distanzschüsse sind ja auch eine Augenweite. Sein Defensivverhalten ist aber teils haarsträubend – das kann man bei einem Zehner ja aber vielleicht noch verschmerzen. Sein Passverhalten dann aber nicht, zu oft übersieht er den besser postierten Mitspieler und setzt stattdessen auf seine individuelle Klasse im Dribbling oder Schuss.
Und einerseits ist die Ausbeute dafür viel zu gering, nur ein Tor (und das war auch noch glücklich abgefälscht), obwohl er mehr Schüsse pro Spiel abgibt als Bülter (2,7 zu 2,5 laut whoscored.com), und auch nur eine Vorlage. Andererseits – und das wäre mir das wichtigere – ist Zalazar damit Paradebeispiel für die schon jahrelang geltende Kritik am Schalker Spiel: Dass in der Offensive Situationen zu oft nur durch pures Individualkönnen gelöst werden können.
Als eine Facette im Spiel ist er aber gerade ziemlich bereichernd. Und endlich konnte Zalazar mit seinem insgesamt 35. Abschluss auch sein erstes Ligator erzielen. Jetzt aber genug auch der Einzelkritik am Publikumsliebling.
Wünsche an den Weihnachtsmann
Zuerst das offensichtliche: Endlich ein Ersatz für Hoppe im Sturm. Bülter und Terodde konnten glücklicherweise lange durchspielen, dafür war aber auch schon früh strenge Belastungssteuerung notwendig. Pieringer als Ersatz ist zunehmend gut, aber reicht allein einfach nicht aus.
Dass die Verletzten wieder fit werden. Terodde, Latza, Sané. Vor der Saison galten die als unsere besten Spieler. Terodde hat das auch vollkommen bestätigen können, die anderen beiden leider nicht, sie hatten bisher einfach kaum eine Chance dazu. Aber ein Latza wie in der Vorbereitung und ein Sané wie vor etwas über zwei Jahren, das wären nochmal zwei echte Kracher…
Spielerische Weiterentwicklung. Die Liste der Unterpunkte ist hier lang. Und eigentlich unterscheidet sie sich nur wenig von dem, was die letzten Jahre hier auch schon immer wieder gepredigt wurde. Wir machen langsame Fortschritte und trotzdem oder gerade deshalb wünsche ich mir händeringend jedes bisschen mehr, das möglich wäre.
Das Einzige, was seit noch mehr Jahren auf dem Wunschzettel steht als schöner Fußball: Konstanz. Nicht immer weiter dem Traum von „dem einen richtigen für 160.000 Schalker gleichzeitig“ nachjagen, sondern einfach mal das entwickeln, was man hat. Dem brauchbaren Trainer die Zeit und Geduld geben, sich zu einem guten Trainer zu entwickeln. Woanders kommen die ja auch nicht makellos aus dem Ei gepellt, entgegen der landläufigen Meinung.
Unbedingter Zusammenhalt für das gemeinsame Ziel. Selbstsabotage hatten wir jetzt echt genug. Präventiv-Pessimismus macht keinen Spaß. Gegenseitiges Zerfleischen im Internet und im wahren Leben macht keinen Spaß. Stimmungsboykott macht keinen Spaß. Und wegen all der selbst(mit)verschuldeten Spaßbremsen macht Schalke manchmal auch keinen Spaß mehr. Aber das können wir auch wieder ändern!
Schön, endlich mal wieder eine Analyse zu einem Zweitligaspiel des FC Schalke 04 von euch zu lesen. Und eine sehr gute Analyse ist es noch dazu. Das erste Gegentor hast du so gut entschlüsselt, dass ich beim Lesen richtig etwas lernen konnte. Und die höhere Variabilität im Angriffsspiel ist mir auch aufgefallen; Drexler hatte ja auch schon so etwas angekündigt. Aber warum erst, wenn sich Terodde verletzt? Der hätte doch sicher auch seinen Spaß gehabt.