Schalke spielt international gegen Gladbach und kommt durch die Auswärtstorregel der Europapokalarithmetik weiter. Dazu kam noch das Ligaspiel gegen die gleiche Mannschaft. Eine Trilogie, die taktisch gesehen sehr interessant war und viel zu bieten hatte.
Die Fohlen Trilogie
Die „andere“ Borussia aus der Nachbarschaft als Gegner für drei Partien innerhalb von 11 Tagen. Bevor wir allerdings auf das Grande Finale dieser Trilogie gucken, noch ein kurzer Blick auf das, was direkt davor geschah…
Vorspiel: Bundesliga Rückrunde (2:4)
Der Spielplan bescherte die gleiche Paarung des Europa League Achtelfinales in der Bundesliga direkt vor dem Europa League Achtelfinale. Nachdem diese Paarung in der Hinrunde der Wendepunkt für Schalke war, weil sie die 5-Niederlagen-Serie mit dem fulminanten 4:0 Sieg gegen Gladbach beendete, ging’s diesmal eher in die andere Richtung. Schalke kam nicht in die Zweikämpfe, das Hauptproblem der vergangenen Wochen, und ließ sich auskontern.
Dieter Hecking hat Gladbach ein paar klare Strukturen eingeimpft. Wie nach jedem Trainerwechsel ging es zunächst darum die Defensive zu stabilisieren. Gladbach steht jetzt also gern tief und Kontert durchs Zentrum. Da sind sie blitzgefährlich. Raffael und Stindl treiben da ihr Unwesen und sorgen für mächtig Torgefahr. Eine gute Ausbeute der Torchancen kommt dazu.
Schalke kam in dieser Partie nicht so wirklich in die Zweikämpfe, das Pressing funktionierte so gar nicht und im Spielaufbau schon Schalke dann noch immer genau in die Gladbacher Hoheitszentren. Das Zentrum. Das sollte so nicht mehr passieren.
Europapokal Hinspiel (1:1)
„System hin oder her, entscheidend ist, dass Du die Zweikämpfe gewinnst“, sagte Markus Weinzierl bei der Pressekonferenz vor dem Europa League-Hinspiel gegen Gladbach auf Schalke. Und recht hat er. Obwohl die 3er Kette viel diskutiert wurde (und immer noch wird), war das Hauptproblem nicht, dass da einer mehr in letzter Reihe steht oder im Zentrum, sondern dass das Pressing nicht aggressiv genug war. Die Spieler sind zum Gegenspieler gekommen, waren dann aber meist viel zu passiv.
Das änderte sich in diesem Spiel. Gleichzeitig mit der Abwehr-Kette. Es standen plötzlich defensiv nur noch 4 Spieler hinten, statt wie noch ein paar Tage zuvor 5. Dafür gab es auch 4 in der Reihe davor, statt wie zuvor nur 3. Im 4-4-2 versuchte sich Schalke gegen das 4-4-2 von Gladbach zu behaupten, in Zweikämpfe zu gehen und die Flügel zu beherrschen. Und das gelang relativ gut. Dabei war Schalkes Formation eine Mischform, die hängende Spitze war eher ein offensives Mittelfeld, so dass es eher zum 4-2-3-1 tendierte. Aber das ist eh nicht entscheidend.
Das Pressing funktionierte und das Zentrum wurde ausgespart. Das ganze sehr Rustikal mit Flügelfokus. Nicht zwingend das was mir Freudentränen in die Augen treibt, aber hier völlig angebracht. Schalke kam zu deutlich mehr Torschüssen und hatte die besseren Gelegenheiten. Am Ende scheiterte es ein bisschen an der Chancenverwertung, die schwache eigene und die starke des Gegners. Das Spiel hatte aber Mut gemacht
Johannes Geis rückte in diesem System wieder stärker in den Fokus. Als defensiver 6er kippte er bei Ballbesitz zwischen die Innenverteidiger ab. Es ergab sich also wieder eine 3er Kette. Der Spielaufbau lief also wie gewohnt. Mit dem Unterschied, dass Geis dafür sorgen sollte, dass nicht nur Kurzpässe gespielt werden sollten, welche von Gladbach leicht abzufangen sind, sondern auch weite Bälle, diagonal auf die Flügel. Seine große Stärke. Das positionsspiel war teilweise etwas merkwürdig, aber da Schalke eh nicht durch’s Zentrum wollte, spielte das gar keine so große Rolle. In der Defensive zeigte er sich dann sehr aggressiv, das Timing beim herausrücken war aber nicht immer super. Alles in allem also Rustikal, adäquat, aber sicher nichts womit Schalke über längere Zeit die Liga rocken könnte.
Zwischenspiel: Augsburg (3:0)
Wieder 4er Kette. Wieder passte das mit dem Pressing und vor allem auch Gegenpressing jetzt deutlich besser. Dazu: Max Meyer. Zuletzt stark in die Kritik geraten legte ein fabelhaftes Spiel hin, kreierte Torchance um Torchance und nahm die gegnerische Verteidigung zum Teil im Alleingang auseinander.
Diesmal agierte Schalke weniger im 4-4-2 und noch klarer im 4-2-3-1, mit Meyer als glasklarem 10er zwischen der Flügelzange. Aber auch hier war die Chancenverwertung wieder nicht das Gelbe vom Ei, trotz des hohen Ergebnisses.
Kommen wir also zum 3. Akt, dem entscheidenden Spiel, der zweiten Partie des Achtelfinales in der Europa League…
Europapokal Rückspiel (2:2)
Bei Gladbach konnte Stindl nicht spielen und wurde von Drmic ersetzt. Ansonsten spielte der Gastgeber sehr vergleichbar wie in den vorangegangenen Partien. Ein frühes Forechecking, wenn der Ball nicht gewonnen werden konnte, zog sich die Mannschaft dann schnell zurück und stand mit zwei 4er-Ketten direkt vorm Strafraum. Eng und kompakt. Bei Ballgewinn wurde der direkte Weg zum Tor gesucht. Dabei gern durchs Zentrum.
Besonders Raffael ist da eine Bank, zieht regelmäßig 2-3 Gegner auf sich und kann den Ball doch noch sinnvoll verwerten. Gleichzeitig entstehen so natürlich Lücken für die Mitspieler. Gladbach insgesamt sehr schnell und zielstrebig, ohne gesteigertem Wunsch zu Ballbesitz.
Auf der anderen Seite zog Weinzierl wieder die 4er Kette. Defensiv ebenfalls im 4-4-2 gestaltet sich das Spiel im eigenen Ballbesitz als 4-2-3-1, das durch den klaren Flügel-Fokus auch als 4-2-2-2 oder 4-4-1-1 bezeichnet werden könnte. Der Flügel-Fokus war noch viel stärker als in der bisherigen Saison schon. Die Gefahr der Gladbacher im Zentrum wurde diesmal extrem ernst genommen und das Zentrum zur absoluten Sperrzone erklärt. Über die gesamte Spieldauer war dort ein Loch.
Gleichzeitig wurde im Angriffsdrittel sehr stark kombiniert. Immer wieder kam der Ball dorthin und die Bewegungen der Gruppen waren sehr sauber, so dass Schalke immer wieder zu Abschlüssen kam.
Die erste Halbzeit
Insgesamt kam Schalke gut in die Zweikämpfe. Vielleicht abgesehen von den ersten 10 Minuten. Aber die Anfangsphase ist in dieser Saison ja häufig träge. Schalke braucht etwas um auf Touren zu kommen.
Wie schon in den beiden Spielen zuvor brachte Schalke zwar eine 4er-Kette aufs Feld, aber mit Geis als defensivem 6er, der hinter die Abwehr kippte. So entstand das gleiche gruppentaktische Verhalten erkennbar wie bei der 5er-Kette zuvor. Die beiden Außenverteidiger rückten dann meist hoch auf und Bentaleb der andere 6er suchte direkten Kontakt zur Abwehr, so dass sich eine Raute im Aufbau ergab.
Die wurde durch Gladbachs Forechecking recht tief gehalten, war aber natürlich durch die klare Überzahl in der Lage selbiges zu umspielen. Gleichzeitig rückte der Rest der Mannschaft aber hoch auf, weil ja das Zentrum Sperrzone war. Roman Neustädter hat im Interview vor einem Jahr schön erklärt, dass sowas blöd ist. Weil dann zwar Überzahl ist, aber in einer Gegend wo Du eigentlich keine Überzahl brauchst und dafür da wo Du Überzahl brauchst (nämlich da wo der Ball hin soll) Unterzahl besteht.
So konnte Schalke sich zwar Gladbach im 4 gegen 2 fern halten, gleichzeitig waren aber alle Anspielstationen weit weg und auch noch gedeckt. Der Aufbau gelang trotzdem durch weite Bälle und gelegentliches Aufrücken. Doch der Aufbau geriet häufig ins Stocken.
Ein weiteres Problem war Leon Goretzka als 10er. Seine Stärken liegen im Mittelfeld, so weit vorne konnte er sie kaum einsetzen. Es fehlt ihm auch an Kreativität für die vorderste Reihe und an Torgefahr. Selbstverständlich ist Goretzka ein bockstarker und kreativer Spieler, aber eben eher, wenn er etwas mehr Spielfeld vor sich hat.
Die zweite Halbzeit
Mit dem Seitenwechsel änderte Weinzierl das und zog Goretzka weiter zurück. Deutlich weiter. Als Teil der Doppel-6 spielte er jetzt den Part von Geis und Meyer übernahm die 10er Position. Caligiuri spielte sehr zentrumsorientiert und Kehrer hatte den ganzen Flügel für sich. Allerdings kippte Goretzka nicht, wie Geis zwischen die Innenverteidiger, sondern daneben. Das tat er so konsequent, dass ich von einer 3er Kette sprechen möchte mit Höwedes zentral und Goretzka auf der rechten Halbposition. Goretzka kam hier zu viel Platz, weil Kehrer auch höher stand, sorgte dafür die Verbindung zum Flügel und Mittelfeldhalten, rückte selbst gerne auf und leitete Angriffe von hinten aus ein.
Bentaleb suchte jetzt auch weiterhin die Nähe zur Verteidigung, allerdings etwas flexibler. Er und Goretzka balancierten sich gegenseitig immer wieder aus. Rückte einer auf, ging der andere in die 3er Kette. Gleichzeitig wurde insgesamt etwas mehr Risiko gespielt, Schalke musste ja ein 0:2 aufholen.
Ich möchte hier von einer echten 3er Kette reden, weil die auch defensiv ihre Stabilität hielt. Durch das höhere Risiko in den Angriffen, und das schnelle Tempo in Gladbachs Kontern, kam Schalke nur noch selten in eine richtige Grundordnung, das 4-4-2 wurde kaum noch gezogen. Stattdessen fokussierte Schalke sich auf’s Gegenpressing und das direkte Pressing. Volle Konzentration auf das gruppentaktische Verhalten.
Mit laufender Spielzeit und besonders nach den beiden Toren wurde das Spiel eh immer mehr zu einem Kampf mit offenem Visier auf beiden Seiten. Die Passerfolgquoten gingen zurück, der Ball ging vor und zurück. Schalke konnte aber auch hier das Chaos beherrschen, Konter oft gut ausspielen und kam nach wie vor gut in die Zweikämpfe.
Aggregation, das 180 Minuten Spiel
Wenn eine Mannschaft nach zwei Unentschieden eine andere aus dem Europapokal wirft, sind Diskussionen vorprogrammiert und verständlich. Die Statistiken der Spiele sprechen da eine deutliche Sprache…
Schalke | Gladbach | |
Tore | 3 | 3 |
Ballbesitz | 53,7 % | 46,3 % |
Passerfolg | 83,8 % | 78,7 % |
Schlüsselpässe | 30 | 13 |
Schüsse | 43 | 15 |
Schüsse auf’s Tor | 15 | 5 |
Bälle abgefangen | 44 | 32 |
Ecken | 14 | 5 |
Fouls | 18 | 24 |
Das einzige was Schalke sich vorzuwerfen hat, ist die Chancenverwertung. Ein Grund dafür ist, dass Schalke zwar häufig den Abschluss sucht, aber das, was man gemeinhin so Zwingend nennt, sind die wenigsten dieser Gelegenheiten. Viele Halbchancen, viele Schüsschen. Die Bewegungen im letzten Drittel sind aber deutlich besser geworden, Steigerung ist also in Sicht. Und dann verteidigt Borussia Mönchengladbach ja nun mal auch recht stark.
Und sonst so?
In allen 3 Gladbach Spielen (und dem Augsburg-Spiel dazwischen) zeigte sich Ralf Fährmann in bestechender Form. Mehrfach rettete er, obwohl es nichts zu retten gab, Elfer inklusive. Auch wenn ich persönlich immer schade finde, dass er so gar kein spielender Torhüter ist und das auch in diesem Leben nicht mehr wird, er ist ein großartiger Torhüter auf der Linie. Und ja, das mit dem Mitspielen hat schon viele Fortschritte gemacht, er drischt den Ball nicht mehr so oft einfach weg und sucht meist den Kurzpass zur Verteidigung. Trotzdem. Und erstrecht: Lang lebe Ralf Fährmann! Ein toller Keeper für diese Mannschaft.
Die spannende Frage ist natürlich, wie geht’s jetzt weiter. In der Euro League gegen Ajax, aber auch in der Liga, wo das Derby ansteht. Werden wir die 4er Kette wieder häufiger sehen oder geht’s doch wieder zur 3er Kette? Oder bewahrt sich Weinzierl diese taktische Flexibilität? Und wird Schalke das Zentrum des Spielfelds wieder für sich entdecken, jetzt wo der Gefahrenherd vielleicht ein anderer ist, und dafür von diesem krassen Flügelfokus wegkommen? Und wird Schalke die Chancenverwertung in den Griff bekommen?
Es wird interessant in den nächsten Wochen und es wird viel passieren, so viel steht fest.
Über 180 Minuten ein verdientes Weiterkommen. Eine weitere sehr aussagekräftige Statistik, die expected Goals:
Hinspiel: Gladbach 0,66 : 1,03 Schalke (Match odds: 43% Sieg Schalke, 23% Sieg Gladbach)
Rückspiel: Schalke 1,55 : 0,71 Gladbach (Match odds: 61% Sieg Schalke, 13% Sieg Gladbach)
Ja, es ist ein Taktikblog, aber für mich genau so wichtig: was für eine sagenhafte Unterstützung durch den Auswärtsblock, diese Lautstärke bei den Ecken nach dem 1:2. Der Verein lebt.
Anderbrügge: „In der zweiten Hälfte hat man sie plötzlich richtig stark gespürt, diese Europacup-Stimmung. Die Fans flippen ab einem bestimmten Punkt völlig aus, die Stimmung bricht explosionsartig über Schalke 04 herein.“