Ralf Fährmann gehört zu den besten Torhütern Deutschlands. Da wiederspricht auch kaum jemand. Doch Jogi Löw will ihn partout nicht zur Nationalmannschaft einladen. Hier möchte ich aus taktischer Sicht darlegen, welche Überlegung dahinter stecken könnte.

dfb-faehrmannStatistiken zeigen, dass nur wenige Torhüter besser halten, kaum einer konstanter. Nie unterlaufen ihm schlimme Fehler, Bewertungen in den Medien sind schon seit langem beständig hoch und immer wieder gibt es Spiele, in denen er Schalke Punktgewinn sichert (wie zuletzt gegen Borussia Mönchengladbach). Doch gucken wir mal genauer hin…

Nerven aus Stahl und Reflexe wie eine Raubkatze

Wenn ein Stürmer auf Fährmann zusteuert, bleibt dieser lange stehen. Dadurch vermeidet er, dass der Ball leicht über ihn gespielt oder an ihm vorbei gelegt wird. Gleichzeitig bleibt er so manövrierfähig. Wenn der Stürmer etwa die Richtung wechselt kann Fährmann darauf reagieren, weil er noch auf den Füßen ist. Viele andere Torhüter haben da deutlich weniger Ruhe und sind früher am Boden. Gleichzeitig ist Fährmann sehr schnell unten, wenn der Schuss kommt. Seine Antizipationsfähigkeiten sind hier sehr stark ausgebildet und Stürmer beißen sich daran mit schlichter Regelmäßigkeit die Zähne aus.

Torhüter sind ja immer ein bisschen schwer ohne ihre Innenverteidiger zu bewerten. Auf Schalke hat er meist spiel- und kopfballstarke Spieler vor sich, die ihn unterstützen. So bekommt Schalke nur selten Tore nach Freistößen oder Ecken eingeschenkt. In Kooperation mit den Verteidigern kommt hier besonders seine Sprungstärke zum Tragen. Flanken oder Eckstöße pflückt er oft vom Himmel und selbst im dichten Getümmel faustet er sie häufig weg.

Seine Strafraumbeherrschung ist insgesamt sehr stark. Mit seinem intelligenten Positionsspiel verkleinert er aktiv Winkel und setzt Stürmer durch seine Bewegungen unter Druck. Dabei sieht sein Verhalten sehr intuitiv aus. Insgesamt wirkt er immer sehr konzentriert, aber nie unter Stress.

All das zusammengenommen ist er ein großartiger Rückhalt für Schalke, auf den sich die Mannschaft verlassen kann. Einfache Gegentore fallen fast nie mit ihm im Tor und auch sogenannte Unhaltbare hält er regelmäßig. Durch seine Ruhe und die starken Reflexe liefert Ralf Fährmann ein fehlerfreies Torwartspiel nach dem anderen ab.

Torhüter alter Schule

Bei aller Begeisterung über seine Qualitäten, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es auch Bereiche gibt, in denen Fährmann Schwächen hat. Kurz gesagt beschreibt der Vergleich zwischen ihm und Vorgänger Manuel Neuer den Umbruch der Torhüter-Philosophien, ausgetragen im Vorfeld zur WM 2006 zwischen Oliver Kahn und Jens Lehmann. Auf der Linie ist Fährmann Neuer sicherlich zumindest ebenbürtig.

Aber da ist noch der Teil, den man „mitspielenden Torwart“ nennt. Dieser versucht ein aktiver Teil des Angriffsspiels zu sein. Das bezieht sich auf zweierlei Phasen: Konter und das Aufbauspiel.

Bei Kontern ist Zeit ein kostbares Gut, der schnellere hat die besseren Karten. Konter zügig einzuleiten kann daher ein wertvoller Vorsprung sein. In dem Moment wo der Torhüter den Ball aufnimmt, muss er schon einen Plan haben diesen wieder los zu werden um einen Angriff einzuleiten. Und zwar möglichst schnell. Denn die andere Mannschaft ist ja noch voll auf Angriff programmiert.

Fährmann benötigt allerdings Zeit sich nach Ballgewinn zu orientieren. Bis er den Ball an einen Mitspieler weitergegeben hat, um einen Konter einzuleiten, vergehen oft wertvolle Sekunden. Schalke umgeht das Dilemma meist, indem sich die Innenverteidiger immer direkt aktiv um den Ball bemühen. Somit kann einer von ihnen angespielt werden und dieser dann den Konter einleiten.

Im Aufbauspiel geht es darum in den wichtigen Zonen Überzahlsituationen zu erzeugen, damit der Ball möglichst sicher in Richtung Angriffsdrittel gelangen kann. Der Gegner versucht dabei Passwege und den Ballführenden zuzustellen. Je passsicherer der Keeper dann ist, desto eher kann er als letzter Mann die Bälle verteilen und desto eher kann ein anderer Spieler als Anspielstation bereitstehen.

Die Fähigkeiten Fährmanns mit Ball am Fuß sind allerdings eher begrenzt. Pässe über mehr als 10-15m sind darum sehr selten von ihm zu sehen. Und wenn er dann noch von einem Gegenspieler unter Druck gesetzt wird, folgt meist der etwas hektisch wirkende Abschlag. Generell schlägt er häufig ab, was aus taktischer Sicht sowieso etwas Problematisch ist, weil sich immer eine 50-50 Chance ergibt, wer den zweiten Ball gewinnt. Der Einfluss darauf ist ziemlich gering. Alternativ spielt er den Ball relativ kurz zu einem der Innenverteidiger und positioniert sich dann hinter der Aufbaureihe, bereit angespielt zu werden und den Ball zu verlagern oder weit ins Mittelfeld zu schlagen. Pässe über die erste Linie hinweg direkt in den 6er Raum spielt er praktisch nie.

Spielweise der deutschen Nationalmannschaft

Jetzt könnte man sagen, dass dieses „Mitspielen“ ja nur Beiwerk ist und das wichtigste ist doch wohl, dass er vernünftig hält. Das kann man natürlich so sehen und vernünftig halten ist in diesem Falle ja auch eine deutliche Untertreibung. Aber hier geht es ja darum, dass er für Deutschland auflaufen soll. Also werfen wir mal einen Blick auf die Spielweise der deutschen Nationalmannschaft.

Löw hat einen spielstarken Kader zusammengestellt. Und das wird konsequent ausgenutzt. Der DFB versucht alles spielerisch zu lösen. Überall auf dem Feld bilden sich Dreiecke und jeder Spieler hat immer mehrere Anspielstationen. Wichtig sind hier eine gewisse Pressingresistenz und ein gutes Raumgefühl.

Das trifft auch auf die Torhüter zu. Diese sollen bei der Nationalmannschaft im Ballbesitz wie ein Feldspieler agieren. Bei Kontern soll ein schneller Angriff direkt eingeleitet werden. Von den letzten Turnieren haben wir wohl alle ein paar Szenen im Kopf in denen Neuer den Ball aufnimmt und direkt auf einen Mittelfeldspieler abwirft. Oder wie er an der Strafraumkante oder davor die Bälle verteilt, wie man es auf Schalke nur von den Innenverteidigern kennt.

Fährmann ohne Adler auf der Brust

Natürlich muss ein Torhüter bei der Nationalmannschaft auf seinen Kasten sauber halten. Seit 2006, seit dem Lehman den Vorzug vor Kahn erhielt, wird der Fokus aber auf die spielerischen Qualitäten gelegt. Und in Deutschland gibt es eine Menge Schlussmänner die diese Anforderungen erfüllen. Jetzt sind etwa Bernd Leno, Manuel Neuer, Marc-André Ter Stegen und Kevin Trapp im Kader für die Testspiele gegen England und Italien.

Man könnte argumentieren, dass Fährmann besser auf der Linie ist, als alle vier. Aber alle vier sind bessere Fußballspieler als er. Und darauf kommt es Löw und Köpke an. Die Torhüterqualität in Deutschland ist sehr hoch. Das ermöglicht es dem Bundestrainer sich die Rosinen raus zu picken, also die komplettesten Gesamtpakete auszuwählen. Darum haben sie Fährmann nicht nominiert und darum wird das auch so bald nicht passieren. Er hat für die Nationalmannschaft einfach zu große spielerische Schwächen, damit passt er nicht ins Konzept.

In gewisser Weise ähnelt dieser Fall der Diskussion um Stefan Kießling. Auch er war sehr stark in einer gewissen Disziplin, hatte aber deutliche Schwächen in anderen, die für die Nationalmannschaft allerdings wichtig sind. Im Verein können solche Schwächen aber gut kompensiert werden. Letztlich hat Schalke auch eine komplett andere Spielweise als der DFB. Darum passt Ralf Fährmann so gut rein. Die Stärken werden betont und bewusst eingebaut, für die Schwächen werden Alternativen genutzt. Das ist bei jedem Spieler so und funktioniert bei Fährmann ganz ausgezeichnet. Er ist ein elementarer Teil des Spiels und ein starker Rückhalt für die ganze Mannschaft. Und ich persönlich hoffe das bleibt noch eine ganze Weile so.

Aber Weidenfeller…?!

Richtig, es gab da ja kürzlich einen ganz ähnlichen Fall. Roman Weidenfeller war eine Zeitlang auf der Linie recht stark, hat aber keinen geraden Pass über 2m hinbekommen. Warum hat Löw den denn dann mit nach Brasilien genommen? Persönlich glaube ich, dass das in erster Linie eine politische Entscheidung war. Borussia Dortmund hat ein paar Jahre auf höchstem Niveau gespielt, stand kurz vor dem Turnier sogar noch im Finale der Champions League. So dass die halbe Nation immer wieder geschimpft hat, wie Löw Weidenfeller zuhause lassen könne.

Letztlich durfte er mit zur WM. Als einer der ältesten im Kader. Mit der Aussicht Tourist zu bleiben. Es war klar, dass es an Neuer nichts zu rütteln gäbe und bei einer Verletzung wäre wohl Ron-Robert Zieler eher zum Zug gekommen. Eine vergleichbare Lobby hat Fährmann, zumindest jetzt noch, nicht.

Disclaimer

Ich kenne Joachim Löw nicht und habe mich auch noch nie mit Andreas Köpke unterhalten. Die Argumentation hier spiegelt meine Überlegungen wieder. Das mögen besagte Herren anders sehen. In jedem Fall würde ich das ganze hier aber gern diskutieren und bin auf Meinungen in den Kommentaren gespannt.

11 Replies to “Warum Löw ohne Fährmann spielt.
Die taktische Perspektive

  1. Voll deiner Meinung, aus Löws Perspektive dürfte sich die spielerische Komponente mehr auszahlen. Wenn ein Team in einer Partie gefühlt nur drei Chancen zulässt und selber das Spiel macht, ist wahrscheinlich der Torwart nützlicher, durch dessen Spiel man leichter die Spielkontrolle behält und der auch selber Chancen einleiten kann als der, der dafür vielleicht von zehn Schüssen einen mehr hält.
    Ein zusätzliches Problem aus spielerischer Sicht bei Fährmann ist, dass seine Abschläge unter Druck recht schwach sind. Er setzt eigentlich zuverlässig in jeder Partie zwei oder drei davon ins Aus.

  2. Vor drei Monaten hätte ich Dir uneingeschränkt zugestimmt. Ich meine aber gesehen zu haben, dass sich Ralf mit dem Ball am Fuß laufend verbessert. Bei hohem Pressing der gegnerischen Stürmer geraten er und die Abwehrspieler nicht mehr so häufig unter Druck. Unkontrollierte Abschläge, die oft im Aus oder beim Gegner landen passieren seltener.
    .
    Wenn meine Beobachtung stimmt ist es erstmal gut für uns. Und vielleicht kommen Ralf und die Nationalmannschaft ja doch noch zusammen.

    1. Hmmm, ehrlich gesagt ist mir das so konkret nicht aufgefallen. Ich bin da eher bei Idioteque, dass er Bälle unter Druck häufig einfach wegdrischt und davon einige im Aus landen. Gegen Gladbach sind mir noch 2 oder 3 davon in Erinnerung.

      Insgesamt ist der Defensivverbund aber spielstärker geworden, da stimme ich Dir zu. Gemeinsam mit den Innenverteidigern funktioniert das Aufbauspiel relativ souverän, so dass auch wenn der Gegner früh anläuft gute Lösungen gefunden werden können. Allerdings liegt das meiner Meinung nach in erster Linie an Matip und Neustädter, die sich gut positionieren, für Fährmann anspielbar sind und den Ball dann sauber weiterverwerten können. In anderen Worten: Die beiden nehmen Fährmann den Druck von der Schulter. Das hab ich gemeint, als ich im Text oben geschrieben hab, dass der Torhüter auf Schalke mit Stärken und Schwächen gut eingebunden ist.

  3. Wie sehr ich die einzelne Speler Nominierungen in den Nationalkader gönne. Als Schalker bin ich froh für jeder Spieler die in der Länderspielpause auf Schalke bleibt.

    In so ein Pause könnte man wrote in eine Vorbereitung was intensiever an Abläufe arbeiten.

    Ist es übrigens nur eine falscher Eindruck, oder kommen Schalker die nominiert sind grundsätzlich schwächer zurück vom national 11? Jetzt ist Sané im Formtief nach Nominierung. Ganz deutlich war es bei Neustädter, aber auch Draxler und Meyer sahen weniger stark aus nach deren erste Nominierung.

    1. Ich persönlich halte das ja für eine düstere Legende und vermute den Ursprung darin, dass die Erwartungshaltung auf Schalke bei einem Auftritt bei der Nationalmannschaft deutlich steigt. Draxler und Meyer haben meiner Meinung nach ganz normal weiter gespielt. Wenn überhaupt, dann würde ich sagen.

      Und zu Neustädter glaube ich ja eh, dass den nie jemand wahrgenommen hat, plötzlich war er bei Löw und alle „wussten“ jetzt, dass der super ist. Als sie danach aber wieder nix von ihm gesehen haben war klar, dass er plötzlich schlecht ist. So krass wie immer getan wird war der Leistungsabfall deutlich nicht, finde ich.

  4. Klar gibt es solch einen Gedankengang und die Konkurrenz ist ja auch nicht namenlos und schwach. Nichtsdestotrotz spielt Ralle torwarttechnisch auf einem Niveau, welches seinesgleichen sucht, da muss er sich wahrhaft nicht hinter Neuer verstecken. Selbst beim Fußballerischen hat sich Ralf extrem gesteigert, ist zum Beispiel mal aufgefallen, dass seine „schwachen“ Abstöße fast ausschließlich mit links geschossen werden, mit Rechts hingegen fast immer den Mann finden?
    Meiner Meinung nach wird da auch zu sehr mit Adleraugen drauf geachtet. Bei Ter Stegens erstem Champions League Spiel hat er zum Beispiel reihenweise die Bälle in Richtung Fans gedroschen und wenn dieser so halten würde, wie es Fährmann tut, dann gäbe es mit Sicherheit auch keine Diskussion zwischen ihm und Claudio Bravo. Für mich persönlich will der Bundesjogi einfach nur seine (ja das gibts auch woanders) Wolfühloase in dem Sinne aufrecht erhalten, dass er keine Hierarchieänderungen für einen 2./3. Torhüter riskieren will – rein nach einem Leistungsprinzip wäre sonst ja selbst ein Sane einem Podolski vorzuziehen.

    1. Oh, das ist interessant. Das ist mir tatsächlich noch nicht aufgefallen, mit welchem Fuß er welche Abschläge schießt. Werde da mal drauf achten.

      Um Löw geht mir diese Wohlfühloase vs Leistungsprinzip Diskussion ehrlich gesagt ein bisschen auf den Kecks. Gemeinhin wird sie gern mit einer aktuellen Formkurve verwechselt. Die Spieler müssen ins Team passen. Und „spielt beim Verein super“ ist eben nur einer der Faktoren die dafür sprechen. Sané spielt bei Hrubesch, weil es bei denen auch um einen wichtigen Titel geht dieses Jahr und er noch genug Zeit hat unter Löw zu spielen. Poldi ist da, weil Löw den sehr genau kennt und weiß, wann er was von ihm erwarten kann, berechenbarkeit ist aus Trainersicht ja nicht unwesentlich. Klar vertraut Löw auf Spieler mit denen er schon zusammengearbeitet hat. Aber gleichzeitig baut er ja auch immer wieder neue Spieler ein.
      Außerdem, besonders auf der Torhüterposition gibt es doch alle 2 Jahre Hierarchieänderungen.

      1. Finde es auch sehr bezeichnend, dass Fährmann häufiger ins Zentrum abschlägt, wenn di Santo statt Huntelaar im Sturm steht. Bei Huntelaar geht der Ball dann meist auf Sane/Choupo statt Richtung Mittelkreis und dementsprechend auch mal häufig ins aus. (Ist mir zumindest stark aufgefallen)
        Das mit Podolski und Sane war jetzt mal aus der Luft gegriffen, allerdings ist es meiner Meinung schon so, dass zahlreiche Spieler mit langfristigem Tief, sprich saisonübergreifend, mitgenommen und andere mit bestätigten Leistungen vernachlässigt werden. Beim 2. Torhüter ist es dann wohl eben nicht gravierend und relevant genug, um sich Gedanken zu machen. Zumindest für mich sind daher weniger Ralles fußballerische Fähigkeiten das Problem, als seine Position.

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