In der Vorwoche mit Sicherheit abgestiegen spielt Hannover seit ein paar Wochen eigentlich befreit auf. Es war klar, dass sie ein unangenehmer Gegner für Schalke werden würden. 96 bespielte die Problemzonen, entscheidend war aber am Ende weniger die Taktik als viel mehr der Ballbesitz.
Die Grundformationen zu Spielbeginn.
Sechsundneunzig
Hannover spielte genau wie erwartet und in unserer Spielvorschau beschrieben. Seit Daniel Stendel übernommen hat, pressen die Niedersachsen sehr konsequent und sehr hoch. Dass eine Mannschaft in der Bundesliga darauf aus ist zu Kontern und schnell umzuschalten, ist in der Bundesliga ja üblich und muss daher nicht sonderlich erwähnt werden. Dass dies aber so hoch passiert, ist schon außergewöhnlich und 96 fährt ziemlich gut damit. So kam es übrigens auch zu dem Tor hier.
Der Spielaufbau wird komplett zugestellt. Aber nicht nur die erste Reihe, sondern auch gleich die zweite. Um kein Loch entstehen zu lassen, steht die ganze Mannschaft sehr hoch, so dass die eigenen Verteidiger beim gegnerischen Abschlag hoch stehen und das Mittelfeld komprimieren. Insgesamt entsteht aus dem defensiven 4-4-2 eine Staffelung, die den Gegner bei dessen Spielaufbau mannorientiert spiegelt. So gibt es keine freie Anspielstation und der gegnerische Torhüter muss abschlagen. Dann sortiert sich Hannover entsprechend um, die 4er Kette zieht zurück und sichert ab. In dieser Staffelung, die wieder deutlich 4-4-2-iger ist, werden viele zweite Bälle erobert, so dass der Gegner den Ballbesitz direkt wieder los ist. Bei jedem Ballbesitz geht es schnell nach vorne. Kyotake verteilt und versucht die Mitspieler geschickt in Szene zu setzen.
Wie hoch 96 immer steht und wie sehr sich darauf fokussiert wird den zweiten Ball zu bekommen wird übrigens daran deutlich, dass Zieler sämtliche Freistöße in der eigenen Hälfte getreten hat.
Auffällig beim Personal ist, dass Stendel schon mitten in der Verjüngungskur ist. Der Umbruch für die zweite Liga hat also bereits begonnen. Eigene Jugendspieler wurden und werden zu Leistungsträgern. Dazu schaffte Stendel es Hannover binnen weniger Wochen den Spielstil einzuimpfen, den Breitenreiter bei Dienstantritt auf Schalke versprochen hat. Nur gegen Ende des Spiels ließen die Kräfte etwas nach. Einmal setzte Hannover nach Ballverlust nicht richtig nach und die Spieler hatten es nicht gebührend eilig in die defensive Ordnung zu kommen. So kam es zum 1:3.
Null Vier
Schalke spielte formativ wie immer, mit einer entscheidenden Änderung: Breitenreiter ließ Geis auf der Bank. Gründe sind mir nicht bekannt, da aber mit starkem Pressing zu rechnen war, ergab diese Entscheidung durchaus Sinn, da Geis damit so seine Probleme hatte. Gleichzeitig versuchte Schalke diese Pressing oft mit langen Bällen oder weiten diagonalen Spielverlagerungen auszuhebeln. Und das kann nun mal niemand besser auf Schalke als Geis. Unter der Perspektive lässt sich die Entscheidung wiederrum anzweifeln. Zur Balance wohl auch die merkwürdige Rolle von Júnior Caiçara. Er versuchte das Spiel von außen aufzuziehen, wie in der Vergangenheit schon häufiger. Gleichzeitig sollte er aber auch immer hinten mit absichern. Letztlich schaffte er beides nur so halb gut, nach vorne kam er nicht wirklich an den Ball und nach hinten meist ein bis drei Schritte zu spät. Darum kam mit der Führung im Rücken dann Riether zur zweiten Halbzeit.
Defensiv spielt Schalke seit ein paar Wochen jetzt schon komplett im 4-4-2, im Gegensatz zu den Hausherren aber sehr tief. Es gab ein lockeres Anlaufen ab dem Mittelkreis, von wirklichem Druck kann man da nicht reden. Und dann eben die beiden 4er Ketten vor dem eigenen Strafraum. Schalke zeigte insgesamt hier über die volle Distanz eine Leistung die der aus dem Leverkusen Spiel gleich kam. Leider nur dem der zweiten Halbzeit. Es wurde nur passiv gepresst, die Königsblauen begnügten sich damit den Weg zum Tor zuzustellen.
Bei Ballgewinn wurde irgendwie gekontert. Da verließ sich Schalke noch mehr als sonst auf die individuelle Klasse. Da Schmiedebach und Fossum sich recht gut um Meyer kümmerten, hatte Goretzka etwas Platz um etwas zu machen. Oder eben Choupo-Moting, der pünktlich zum Saison Finale wieder in Top-Form ist.
Ballbesitz-Allergie
Hannover ist Ballbesitz-Agnostisch. Stendel geht es darum den Gegner wegzupressen und bei Ballgewinn möglichst schnell zum Abschluss zu kommen. Schalke dagegen hat ein Problem mit Ballbesitz. Breitenreiter möchte eigentlich ähnliches, aber das funktioniert nie so ganz und die Konter werden selten sauber ausgespielt. Dazu unterliegt die eigene Bewegungsfreude in den letzten Wochen denen der Gegner meist massiv (so auch hier), so dass Schalke oft den Ball hat und eigentlich gar nicht genau was damit anzustellen weiß.
Eigentlich müsste sowas Hannover in die Karten spielen. Und letztlich hatte Schalke auch 55% Ballbesitz. Bis zu dem Zeitpunkt an dem man durch zwei lichte Momente und großartige individuelle Leistungen 2:1 in Führung lag. Einmal verlagerte Gorezka schlau aus dem eng zugestellten Mittelfeld auf den offenen Choupo-Moting und einmal nach einer irren Kombination quer durch den Strafraum zwischen Sané und Huntelaar.
So kämpfte sich Schalke durch eine Halbzeit mit ein bisschen(!) zu viel Ballbesitz für den eigenen Geschmack. Mit der Führung im Nacken schaltete Breitenreiter dann zur zweiten Halbzeit absichtlich einen Gang runter und ließ Hannover das Spiel machen. 96 tat sich damit naturgemäß schwer, musste aber in der zweiten Halbzeit mit 60% Ballbesitz umgehen. Schalke stand tief und mauerte sich über die Zeit. So hatten die Niedersachsen zwar optisch das Spiel in der Hand, kamen aber nur selten dazu ihre Stärken auszuspielen. Die Knappen konnten so den Sieg einfahren.
Fazit
Wenn zwei strategisch ziemlich durchschnittliche Mannschaften in der Bundesliga aufeinandertreffen, entscheiden immer taktische Kleinigkeiten, Zufälle und die Tagesform. Zwei lichte Momente in der Offensive und ein paar mehr in der Defensive reichten zur Halbzeitführung, die Schalke dann clever runterspielte. Genau genommen brachte Breitenreiter da eine Führung über die Zeit, zeigte sich als das reifere Team gegen einen starken Gegner. Frei vom Kontext liest sich das gut. Der Kontext ist ja aber leider bekannt…
Vielen Dank für die schöne Zusammenarbeit mit Niemals Allein. Die Jungs dort machen großartige Arbeit und haben ein herausragendes Fußball-Blog auf die Beine gestellt. Außerdem haben sie mich mit viel Hintergrundinformationen zu Hannover 96 versorgt. Auf bald!
Hallo Karsten!
Vielen Dank für Deine tolle Analyse!
Schließe mich meinen Vorredner an, widerum sehr gut geschrieben.
Was das Spiel betrifft, sollten ein Forechecking und Konterlaufwege wirklich alleroberste Priorität haben, gleich wie der Trainer heisst. Vielleicht könnte man durch so ein aktives Defensivverhalten auch die zeitweilige Lethargie aus dem Team bekommen.