Niederlagenserie gestoppt. Ohne Gegentor in die Halbzeitpause. Rückstand verpackt. Und trotzdem war nicht alles gut. Ein Blick auf Baums Baustelle.

Last Chance U

Die Strategie von Union Berlin finde ich sehr beeindruckend, weil sie komplett gegen den Strom schwimmen. Während die ganze Fußballwelt einem Jugendwahn nacheifert, setzen die Eisernen auf Profis die von anderen bereits abgeschrieben wurden. Neuzugänge Loris Karius und Max Kruse sind da gute Beispiele. Beide haben ihre Qualität mehrfach unter Beweis gestellt, trotzdem werden sie von der Bundesliga deutlich unterbewertet.

Dem Kader ist diese Art von strategischer Spielerauswahl deutlich Anzusehen. Union Berlin hat den ältesten Kader der Bundesliga mit 26,9 Jahren (Schalke: 25,4 –  der 8 jüngste Kader). Gleichzeitig hat Union den zweit niedrigsten Marktwert der Liga 56,03 Mio. € (Schalke 171,55 Mio. € der 9. kleinste Marktwert). Und trotzdem haben die Eisernen einen relativ hohen GoalImpact von 145,1 und damit Platz 9 in der Liga (Schalke: 140,7 – Platz 11).

Es werden also Spieler geholt, die vom Markt unterschätzt werden, ihre Qualitäten aber bereits unter Beweis gestellt haben. Sie kommen zu Union um aus der Rolle des Underdogs nochmal Aufsehen zu erregen. Potenziell. Mit dieser Art von Moneyball landest du langfristig zwar nicht in der Champions League, sicherst dir aber den Verbleib in der Liga. Dafür soll auch ein ruhiger Stratege aus der Schweiz sorgen. Headcoach Urs Fischer hilft den Spielern ihre PS auf die Straße zu bringen.

Und obwohl Union praktisch nichts zugetraut wird, haben sie mit dem Abstieg eigentlich wenig zu tun gehabt. Ich gehe davon aus, dass das in dieser Saison ganz ähnlich laufen wird. Das finde ich bei dem winzigen Budget sehr eindrucksvoll.

Eisen im Osten

Wie eigentlich immer spielte Union Berlin wieder mit einem 9er und zwei Außen und einem 10er. Eigentlich greifen sie sonst meist zur 5er Kette, diesmal gab es die aber nicht, sondern ein recht klares 4-2-3-1. Ansonsten war alles sehr erwartbar. Das eigene Drittel wird massivst verteidigt und Ballbesitz wird recht direkt der Weg zum Abschluss gesucht. Dabei geht Union viel über die Flügel, was sich in gefährlichen Flanken und Standardsituationen niederschlägt.

Und genauso war es in diesem Spiel auch. Eigentlich wollten sie den Ball gar nicht haben, wenn es dann aber doch dazu kam, ging es recht schnörkellos in die Spitze. Kruse zeigte sich recht kreativ und fand seine Mitspieler um Gefahr zu erzeugen. Und praktisch jede Flanke von Union war eine Chance. Rønnow hat da einiges entschärft.

Kohle im Westen

Schalke war wieder einigermaßen fluide was die Formation anging. Der Berliner Aufbau wurde in einem 4-4-2 gepresst, Bozdogan schob dafür vor. Wurde die erste Linie allerdings überspielt, formte sich das Team ins 4-3-3 Stammsystem dieses Spiels. Im Angriff war das genauso. Zunächst recht stabil im 4-3-3 und sobald der Ball über die Mittelline ging formte sich eine flachere Formation nahe der Abseitslinie um mit vielen Spielern Druck auszuüben.

Ansonsten war auffällig, dass Schalke es endlich mal schaffte sich den Ball nicht aufquatschen zu lassen. Seit Ewigkeiten fehlt eine Idee mit viel Ballbesitz umzugehen, das haben viele Gegner in der Vergangenheit ausgenutzt.Diesmal ließ Schalke es nicht soweit kommen. Bei Ballbesitz wurde der Weg in die Spitze und der Abschluss direkt gesucht. War das nicht erfolgreich wurde ein Ballverlust in Kauf genommen und ins Gegenpressing über gegangen.

Abstände einhalten!

Dabei war auffällig, dass es relativ viel Platz zwischen den Spielern gab, offensiv wie defensiv. Während Wagner immer sehr auf Kompaktheit achtete, wirkte dieses Spiel sehr weitläufig. So lässt sich zwar einerseits mehr Raum abdecken, andererseits ist diese Deckung aber auch weniger… äääh… deckend? Es ergeben sich jedenfalls viele Löcher.

Im Pressing selbst mussten die Spieler dadurch einiges an Metern machen, die Intensität stimmte und Union hatte teilweise Probleme damit. Aber eben auch nur teilweise. Weil die Wege so weit waren, konnte Berlin das Pressing auch manchmal ganz gut umspielen.

Interessant war aber auch der Ballbesitz. Während unter Wagner der Plan war schnelle Stafetten über ein paar Spieler in die Spitze zu spielen (der Plan der nur sehr selten aufging), fehlten für sowas jetzt die Mitspieler. Keiner da für einen Doppelpass. Angriffe bestanden relativ häufig aus langen Bällen in die Spitze. Bzw. auf einen der 8er, die dann wiederrum einen langen Ball in Strafraumnähe zu bringen versuchten. Die starke Verteidigung der Berliner im letzten Drittel machte dem allerdings meist einen Strich durch die Rechnung.

BB-8

Es ist noch etwas verfrüht daraus eine Regel zu machen, aber Baum setzt bisher auf eine Doppel-8. Hier waren Nabil Bentaleb und Can Bozdogan das dynamische Duo. Deutlich vor 6er Mascarell und hinter den Flügelstürmern Raman und Skrzybski sind sie die Verbindungsspieler. In einer klaren Staffellung sind die 8er das Herzstück. Federführend im Pressing und jeder Ball nach vorne geht über mindestens einen von beiden.

Besonders im Pressing waren die beiden sehr auffällig. Ständig kam Bentaleb oder Bozdogan auf den Ballführenden zugeflogen. Allerdings waren sie auch Opfer der großen Abstände. Hinter ihnen war meist eine Lücke. Wurden sie umspielt, hatte der Gegner Raum. Und wusste diesen auch noch zu nutzen. So kam Union zu ein paar Chancen.

Schwächen im Spielaufbau

Wenn auch die Formation Schalkes über 90 Minuten beständig blieb, so änderte sich das System doch schon sehr. Baum sah, dass Union die Lücken ausnutzen konnte. Entsprechend ließ er das Team jetzt zunehmend kompakter auftreten. Das hatte aber den Effekt, dass Schalke langsamer wurde.

Bei Ballbesitz fehlte jetzt ein Abnehmer in der Tiefe, weil die ersten 3 erstmal wieder in die Tiefe gehen mussten. Also spielten sich die Verteidiger den Ball ein bisschen zu um Zeit zu überbrücken. Das gab Union allerdings auch Zeit sich besser aufzubauen und höher zu pressen. Schalke hatte jetzt den Ball, wusste nicht wohin damit und sah sich mehr Druck ausgesetzt.

Im Endeffekt wurde dann irgendwann der Ball nach vorne gedroschen, und meistens fing Union das ganze einfach ab. Schalke konnte dann ins Gegenpressing gehen (dafür standen sie ja jetzt gut, weil alle Zeit hatten sich in der Tiefe zu orientieren). So kamen in der zweiten Halbzeit ein paar gute Angriffe aus einem sehr schwachen Spielaufbau.

Baum Begins

Wagner wurde durch Baum ersetzt. 2 Tage später ging es nach Leipzig. Dann war Länderspielpause. Ich werte diese Partie also als Frühphase. Manuel Baum steht noch am Anfang und Änderungen im Spiel eines Teams vorzunehmen brauchen Zeit. Zeit, die während einer Saison rar ist. Die Erwartungshaltung, dass in dieser Partie bereits anders ist als noch vor wenigen Wochen, ist entsprechend realitätsfern.

Bei Schalke TV hat Kommentator Jörg Seveneick vor dem Spiel formuliert, dass Schalke sich wettbewerbsfähig zeigen soll und zumindest nicht verlieren. Beides sehe ich als erfüllt. Es wurde aber auch klar, dass das lediglich der erste Schritt einer langen Reise sein kann. Insgesamt wirkte das Spiel von Schalke 04 auf mich wie notdürftig zusammen gestöpselt. Und eigentlich ist das ja auch so. Ein paar Ansätze sind da, aber eigentlich sehen wir eine Großbaustelle. Das wird sicher auch mal Erfolgreich enden in den nächsten Wochen, aber bis wir das sehen, wie Baum sich den Fußball vorstellt, wird es noch eine Weile dauern.

6 Replies to “Zwei 8er und große Abstände. FC Schalke 04 – 1. FC Union Berlin, 1:1

  1. Ich habe nur 2 Anmerkungen die gestern im englischen Kommentar eines Stream fielen.
    Pressing: Es sieht nicht so aus, als würde das ganze Team da mitmachen, immer nur 3,4,5 Spieler (1. Halbzeit ).
    Aufbau – Passspiel: Das Schalker Passspiel ist viel zu langsam, der Gegner hat keine Probleme mit dem verschieben.

    Letzteres ist aus meiner Sicht allerdings kein neues Problem, hat auch nichts mit Trainern zu tun, denn das beobachte ich schon seit Jahren.

    1. Hi Detlef.

      Hmmm, spannend. Ich fand eigentlich schon, dass das ganze Team gepresst hat. Durch die Abstände wirkte es aber teilweise etwas verloren. Kommt im endeffekt ja aber auf’s gleiche raus: Dem Pressing fehlte der Zugriff.

      Das Passspiel in Kontersituationen fand ich auch ganz gut und fix eigentlich. Im Aufbauspiel war nur halt alles mega träge.

  2. Danke für die schnelle und wie gewohnt fundierte Analyse. Es macht mich auch sehr nervös, wie groß die Lücken zwischen den Mannschaftsteilen waren. Außerdem war das Pressing viel zu leicht auszuhebeln. Wenn du Gegner hast, die deutlich schneller sind und hintern heraus mehr Fahrt aufnehmen, geht das in die Hose. Mir wird ganz flau, wenn ich da an die Zecken denke.
    Mir ist die Idee vom Spielaufbau auch nicht geheuer. Hier fehlt ein passsicherer Impulsgeber wir Stambouli. Der hat aber in dem System mit zwei 8ern keinen Platz mehr, oder?

    1. Hi Roland!
      Die Lücken machen mir eigentlich keine großen Sorgen. Baum hat das Problem schon während des Spiels erkannt und versucht zu beheben. Ich denke in den nächsten Wochen werden wir jeweils Quantensprünge erleben. Dabei wird es aber natürlich nicht immer nur besser. Kann mir gut vorstellen, dass Lücken im Derby nicht das größte Problem sein werden.

      Stambouli hat seine Stärken mMn eher in engen Räumen. Kurze Pässe, Übersicht, gutes Stellungsspiel. Bei der Weiträumigkeit am Sonntag wäre das alles nicht sehr zum tragen gekommen, statt dessen wären seine Geschwindigkeitsdefizite stärker zum Tragen gekommen. Aber auch dabei würde ich jetzt nicht auf die Zukunft schließen. Da wird sich noch viel tun in den nächsten Wochen.

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